Eine Frage der Sicherheit

Mit dem Ukraine-Krieg ist die Beschleunigung der Energiewende auch zu einer Frage der nationalen und europäischen Sicherheit geworden. Deutschland will schnellstmöglich unabhängig von Energieimporten aus Russland werden und stärkt seine Versorgungssicherheit.

Photovoltaikanlagen auf einem Feld© Adobe Stock / 63ru78

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat einen zentralen Aspekt der Energiewende in den Vordergrund gerückt: ihren Beitrag für Energiesicherheit und Energiesouveränität. Denn eines will Deutschland nicht mehr länger: In einem so hohen Maß wie bisher abhängig von fossilen Importen aus Russland sein – bei Erdöl, Kohle und besonders bei Erdgas. Die Energiewende gilt als wichtigster Schlüssel, um diese Abhängigkeit zu überwinden und Energiesouveränität zu gewinnen. „Wir brauchen eine beschleunigte Energiewende und einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist das A und O für eine günstige, unabhängige und sichere Energieversorgung“, sagte der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck dazu Mitte März vor Journalistinnen und Journalisten in Schleswig-Holstein.

Der Hintergrund: Der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien kann den Import von Gas und Kohle entsprechend schneller ersetzen. Die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr senkt Schritt für Schritt die Importe von Gas und Öl. Der „Vorsorgeplan - Stärkung der Krisenvorsorge zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gibt einen Überblick, welche Maßnahmen die Bundesregierung bereits getroffen hat und welche aktuell vorbereitet werden:

Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen

Der wichtigste Satz des Papiers steht ganz zuoberst: „Die Versorgungssicherheit ist aktuell gewährleistet; die Bundesregierung setzt alles daran, dass das auch so bleibt“. Im Rahmen eines Energiesofortmaßnahmenpakets („Osterpaket“) soll dazu unter anderem eine umfassende Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Kabinett beschlossen werden. Sie soll den Ausbau der Erneuerbaren deutlich schneller voranbringen und dafür Hürden und Hemmnisse beseitigen sowie die Strommengen und Ausbaupfade insbesondere für Wind- und Solarenergieanlagen im Land deutlich erhöhen. Eine Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes soll darüber hinaus den Ausbau der Offshore-Windkraft beschleunigen, unter anderem mit höheren Ausbauzielen und neuen Vergütungsmodellen. Auch die EEG-Umlage (Ökostrom-Umlage) fällt zur Entlastung der deutschen Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher mit Blick auf die gestiegenen Strompreise ab 1. Juli 2022 weg. Stromkunden müssen dann keine EEG-Umlage mehr über ihre Stromrechnung zahlen.

Turbo für den Wasserstoffhochlauf

Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien forciert das BMWK den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und der Wasserstoffproduktion. Klimaneutraler sogenannter grüner Wasserstoff könnte mittelfristig dazu beitragen, den Einsatz von russischem Erdgas zu reduzieren, beispielsweise als Grundstoff in der Industrie. Dafür will die Bundesregierung bestehende Wasserstoffpartnerschaften in Europa und international weiter ausbauen - neue Allianzen sollen hinzukommen.

Wasserstoff-Pläne mit Norwegen und den Vereinigten Arabischen Emiraten

Erst Mitte März haben Deutschland und Norwegen eine enge Zusammenarbeit vereinbart, um möglichst schnell großvolumige Wasserstoff-Importe nach Deutschland möglich zu machen. Dazu prüfen sie auch den Bau einer Pipeline zwischen beiden Ländern, mit der perspektivisch grüner Wasserstoff transportiert werden könnte. Auch der Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im März 2022 in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) konkretisierte neue Wasserstoffprojekte. Ziel war es, die Wasserstoffzusammenarbeit zwischen Deutschland und den VAE zu verstärken und zu beschleunigen. Während des Besuchs wurden vier Wasserstoffkooperationen der deutschen Wirtschaft sowie eine Forschungskooperation abgeschlossen. 2022 sollen erste Lieferungen von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien nach Deutschland möglich sein.

Als ein wichtiger Baustein für den Wasserstoffhochlauf gilt auch das Förderkonzept H2-Global, mit dessen Hilfe Folgeprodukte von Wasserstoff wie zum Beispiel Ammoniak (Grundstoff für die Chemieindustrie) auf dem Weltmarkt günstig eingekauft und meistbietend weiterverkauft werden können. So soll der internationale Markthochlauf für grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte beschleunigt werden.

Öl- und Kohleversorgung aus anderen Quellen sichern

Rund 50 Prozent der Kohle- und 35 Prozent der Öleinfuhren nach Deutschland kommen bisher aus Russland. Bis zum Jahresende 2022 könnte Deutschland nach Ansicht von Bundesminister Habeck weitestgehend auf Öl und gänzlich auf Kohle aus Russland verzichten. Für Öl gibt es einen funktionierenden Weltmarkt, so dass es auch außerhalb Russlands eingekauft werden kann. Allerdings sind Raffinerien stets auf spezielle Rohölqualitäten konfiguriert und auch die Transportkapazitäten sind begrenzt.

Für kurzfristige Versorgungsstörungen verfügt Deutschland außerdem über eine auf Vorgaben der Internationalen Energieagentur basierende strategische Ölreserve von etwa 15 Millionen Tonnen Rohöl und 9,5 Millionen Tonnen fertigen Mineralölerzeugnissen wie Ottokraftstoff, Dieselkraftstoff, Heizöl und Flugturbinenkraftstoff. Mit ihrer Hilfe könnte notfalls für mindestens 90 Tage ein vollständiger Ausfall aller Importe ausgeglichen werden. Die Vorräte sind über ganz Deutschland verteilt, um schnell und wirksam reagieren zu können.

Internationale Energieagentur gibt Ölreserven frei

Zur Beruhigung des Ölmarktes hat Deutschland als Mitgliedstaat der Internationalen Energie Agentur (IEA) Anfang März drei Prozent der deutschen Ölreserven freigegeben. In einer Sondersitzung hatte die IEA zuvor beschlossen, dass international insgesamt Ölreserven im Umfang von 60 Millionen Barrel zur Verfügung gestellt werden sollen.

Auch Kohle kann außerhalb Russlands eingekauft werden. In Deutschland wird sie vor allem zur Verstromung in den Steinkohlekraftwerken eingesetzt. Gemeinsam mit der Bundesnetzagentur und den Kraftwerksbetreibern will die Bundesregierung die bisher aus Russland gelieferte Kohle zukünftig aus verschiedenen Quellen beziehen und zusätzlich Steinkohlereserven bilden. Letztlich wird die Importabhängigkeit bei der Steinkohle aber durch den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung idealerweise bis 2030 überwunden.

Kohlekraftwerke als vorübergehende Reserve

Gleichzeitig gilt laut dem Vorsorgeplan zur Versorgungssicherheit, dass angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine Kohlekraftwerke als Back-Up zur Verfügung stehen müssen. Bei Braunkohle gibt es dafür die sogenannte Sicherheitsbereitschaft. Kraftwerke in der Sicherheitsbereitschaft befinden sich in der sogenannten „Kaltreserve“. Sie sind abgeschaltet, können aber bei Bedarf aktiviert werden, etwa um den Gasverbrauch zu reduzieren und im kommenden Winter die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Das gilt derzeit für Braunkohlekraftwerke in einem Umfang von 1,9 Gigawatt (GW). Das BMWK prüft gerade, ob und inwiefern auch zur Stilllegung anstehende Kraftwerke in eine vorübergehende Reserve überführt werden können, damit sie im Notfall zur Verfügung stehen.

Atomkraftwerke: Längere Laufzeiten sind keine Alternative

Anders sieht es bei der Frage aus, inwiefern eine Verlängerung der Laufzeiten der drei noch laufenden Atomkraftwerke zur Energiesicherheit beitragen könnte. Das Fazit der gemeinsamen Prüfung des BMWK und des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV): Sie könnten nur einen sehr begrenzten Beitrag leisten, der mit hohen Kosten verbunden wäre. Spätestens Ende 2022 müssen also weiterhin alle verbleibenden Kernkraftwerke vom Netz gehen.

G7-Staaten und EU-Kommission beraten über mehr Energiesouveränität

Am 10. März trafen sich die Energieminister der G7-Staaten, um über die aktuelle Lage des ukrainischen Energiesektors und die Erhöhung der Energiesicherheit der G7-Staaten und Europas zu beraten. Bundesminister Habeck sprach in diesem Zusammenhang von einem energiepolitischen Weckruf für Deutschland und die EU. Zentrale Ergebnisse des Treffens wurden in einer gemeinsamen Abschlusserklärung (PDF, 524 KB) festgehalten. Zuvor hatte die EU-Kommission am 8. März einen möglichen Plan vorgestellt, mit dem Europa deutlich vor 2030 von fossilen Brennstoffen aus Russland, zunächst von Gas, unabhängig gemacht werden soll.

Wie die Abhängigkeit von russischem Erdgas überwunden werden kann

Denn Erdgas, so sieht es auch der deutsche Vorsorgeplan, verursacht derzeit die größte Abhängigkeit, die am schwersten zu überwinden ist. Um das abzumildern und mittelfristig zu ändern, sollen die deutschen Gas-Speicherbestände zunächst durch sogenannte Long Term Options (Sonderausschreibungen; zu Deutsch: langfristige Optionen) gesichert werden. Ein Gasspeichergesetz soll außerdem dafür sorgen, dass die Gasspeicher zukünftig immer ausreichend gefüllt sind. Der Einkauf von LNG-Flüssiggas und der Bau eigener LNG-Terminals wird Deutschland neue Gas-Lieferketten erschließen. Weitere Einzelheiten zu den Plänen Deutschlands und der EU für die Abkehr von russischem Gas lesen Sie hier.