Wie können wir vom Gas gehen?

40 Prozent des in der EU verbrauchten Erdgases kommen aus Russland. In Deutschland sind es sogar 55 Prozent. Sowohl auf europäischer Ebene als auch national gibt es bereits Maßnahmenpläne für die Abkehr von russischem Gas. Ein Überblick:

Grafik zum Erdgas© BMWK

Deutschland will unabhängig von russischen Energielieferungen werden. Was es dafür braucht? Einen deutlich beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, neue Quellen für Gaslieferungen, weniger Energieverbrauch und mehr Energieeffizienz. Deutschland und auch der EU geht es um mehr Energiesouveränität und damit mehr Energiesicherheit.

EU-Pläne: Zwei Drittel weniger Gasimporte aus Russland bis Ende 2022

Bis Ende 2022 plant die EU, ihre Importe von russischem Gas um zwei Drittel zurückzufahren. Dazu hat sie den Maßnahmenplan „REPowerEU“ zusammengetragen und will jetzt unter anderem die Einfuhr von Flüssigerdgas aus Ländern wie Katar, den Vereinigten Staaten, Ägypten oder Westafrika erhöhen. Die Gasversorgung soll diversifiziert und die Einführung von Gas aus erneuerbaren Quellen für Heizung und Stromerzeugung beschleunigt werden. Bis spätestens 2030 könnte die europäische Gemeinschaft ersten Einschätzungen zufolge ganz auf russisches Gas verzichten. Das ist noch immer ein Kraftakt, denn mehr als 40 Prozent des in der EU verbrauchten Erdgases kommt bisher aus Russland.

Schon im Sommer, sagt der Bundeswirtschaftsminister, könnte Deutschland nicht mehr auf russische Kohle angewiesen sein, im kommenden Winter soll das auch für Putins Öl gelten. Anders als bei Kohle und Öl aber, wo Deutschland seine Abhängigkeit von Russland deutlich schneller reduzieren kann, ist es für die Bundesregierung bei den Erdgasimporten nicht leicht, den „Fuß vom Gas“ zu nehmen. Denn gerade Deutschland ist bisher besonders abhängig von russischem Erdgas: 55 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases kommen aus Russland, weitere Importe liefern zum Beispiel Norwegen und die Niederlande. Genutzt wird der fossile Rohstoff vor allem als Energieträger für die Wärmeversorgung. Der Hintergrund: Etwa die Hälfte des bundesdeutschen Wohnungsbestandes wird mit Gas beheizt. Bei Neubauten sind es dagegen nur noch knapp 27 Prozent.

Gasverbrauch reduzieren durch mehr Energieeffizienz

Den Gasverbrauch zu reduzieren, wird zukünftig noch wichtiger werden. Unterstützt werden soll das durch eine konsequente Strategie, die Maßnahmen zu Heizungsoptimierung, Gebäudedämmung und eine Umstellung der Wärmeversorgung durch massive Investitionen in Wärmepumpen und Wärmenetze beinhaltet. In Neubauten soll fossiles Gas gar nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Für bereits bestehende Gebäude sind serielle Sanierungslösungen ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Gebäude-Energiewende: Mit vorgefertigten Fassaden- und Dachelementen einschließlich damit verbundener Anlagentechnik, wie zum Beispiel Wärmepumpen lässt sich der Gebäudebestand deutlich schneller und kostengünstiger energetisch sanieren.

Auch für die Stromerzeugung spielt Gas eine wichtige Rolle. 15,2 Prozent der deutschen Stromerzeugung entstanden 2021 durch den Einsatz von Erdgas. Als energieintensiver Sektor verbraucht die Industrie am meisten Energie – mehr als 33 Prozent davon stammen auch hier aktuell aus Erdgas.

Bundeswirtschaftsminister Habeck warnte angesichts dieser Umstände wiederholt vor einem sofortigen Embargo russischer Energielieferungen, das Versorgungsengpässe im nächsten Winter ebenso wie Wirtschaftseinbrüche und eine hohe Inflation mit sich bringen könnte. Für diesen Winter ist die Versorgungssicherheit zwar gewährleistet, ein solches Embargo müsse man aber auch langfristig durchhalten können, mahnt der Minister. „Wir dürfen auf keinen Fall Putin-Russland den Triumph geben, dass wir Maßnahmen wieder zurücknehmen müssen, weil wir sie nicht durchstehen“, sagte Habeck dazu in der Talksendung Anne Will.

Flüssiggasimporte zur Überbrückung auf dem Weg zu grünem Wasserstoff

Bis Deutschland ganz auf russisches Erdgas verzichten kann, sollen Importe von verflüssigtem Erdgas (sogenanntes LNG - Liquefied Natural Gas) kurz- und mittelfristig einen Teil der Versorgung sichern. Dafür braucht Deutschland spezielle LNG-Terminals inklusive der notwendigen Infrastrukturanbindung, die erst noch gebaut werden müssen. Sie gelten als eine Art zusätzlicher Bypass für die Versorgungssicherheit und sollen langfristig auf klimafreundlichen sogenannten grünen Wasserstoff und Wasserstoffderivate umstellbar sein.

Bundeswirtschaftsminister Habeck hält eine bessere Synchronisierung zwischen den Genehmigungsverfahren und dem Bau der geplanten Flüssiggasterminals in Deutschland für notwendig. „Aus meiner Sicht ist es nicht mehr schlau zu sagen, wir machen jetzt erst mal die Genehmigungen und dann schauen wir uns an, wie die Genehmigungen sind und dann bauen wir", sagte Habeck während einer gemeinsamen Pressekonferenz am 11. März 2022 mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und betonte: „Es muss schneller gehen. Wir sind nicht in einer Lage, wo wir uns diesen Zeitverzug leisten können".

Deutschland baut LNG-Terminals und kauft LNG zur Einspeicherung

Wenige Tage zuvor hatten die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas Gasunie (eine 100-prozentige Tochter des niederländischen Staatsunternehmens Gasunie) und der Energieversorger RWE eine Vereinbarung zur gemeinsamen Errichtung eines LNG-Terminals im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel unterzeichnet. Das Terminal schafft mit einer jährlichen Kapazität von acht Milliarden Kubikmetern eine direkte Möglichkeit, Erdgas für den deutschen Markt aus Regionen zu beziehen, die durch Gasleitungen nicht zu erreichen sind. Mit Katar hatte Bundeswirtschaftsminister Habeck in der vergangenen Woche während einer Reise in das Emirat bereits eine langfristige Energiepartnerschaft vereinbart, die auch Flüssiggas-Lieferungen beinhalten soll.

Aktuell stockt die Bundesregierung die deutschen Erdgas-Vorräte bereits auf. Dazu hat sie Anfang März dem Marktgebietsverantwortlichen im deutschen Gasmarkt für Deutschland, Trading Hub Europe, finanzielle Mittel im Umfang von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Damit soll der Kauf von LNG zur Einspeicherung finanziert werden.

Sicherung der Gasbestände und Gasspeichergesetz

Um die Gasversorgung sicherzustellen, verfügt die Bundesregierung außerdem über bestehende Instrumente und erweitert diese. Bereits genutzt werden sogenannte Long Term Options (zu Deutsch: langfristige Optionen). Long Term Options sind Sonderausschreibungen, die in Absprache zwischen dem BMWK, der Bundesnetzagentur und den Marktgebietsverantwortlichen durchgeführt werden, um zusätzliche Kapazitäten am Markt einzukaufen und die Speicherstände zu stabilisieren.

Ein neues Gesetz zur verpflichtenden Einspeicherung von Gas soll zukünftig außerdem sicherstellen, dass die Gasspeicher immer ausreichend gefüllt sind. Dafür müssen bestimmte Füllstände zu verschiedenen Zeitpunkten des Winters von den Marktakteuren eingehalten werden. Der Gesetzentwurf befindet sich aktuell in der Abstimmung. Auch die EU-Kommission hat für den April einen Gesetzgebungsvorschlag angekündigt, nach dem die unterirdischen Gasspeicher in der gesamten EU bis zum 1. Oktober eines Jahres zu mindestens 90 Prozent ihres Fassungsvermögens gefüllt sein müssen.

„All das sind extrem hohe Herausforderungen, die wir unter den Bedingungen der Realität bewerkstelligen müssen“, sagte Robert Habeck nach seinem zweiten Treffen mit der Wirtschaft zum Thema Ukraine und Sanktionen und fügte hinzu „Wir tun das mit gebündelter Kraft.“