Warum wir Energieforschung brauchen

Welten entfernt wird die Energie der Zukunft von der gestrigen sein: Wie Technologien und Lösungen aus der Energieforschung eine verlässliche, klimaverträgliche und bezahlbare Energieversorgung ermöglichen.

Junges Mädchen staunt über Energieforschung© Adobe Stock / Konstantin Yuganov

Was sie am 11. März 2011 nach den Nachrichten um 18 Uhr gemacht hat, das weiß Mia noch genau: „Ich bin zum Telefon gerannt und habe Freunde in Japan angerufen.“ Genau zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima durch einen Tsunami komplett zerstört wurde, ausgelöst durch ein Erdbeben der Stärke 9. Das Erdbeben und die darauffolgende Kernschmelze in den Reaktoren erschütterte Japan - und in vielen Ländern den Glauben an eine sichere Atomtechnologie. Drei Monate später, am 6. Juni 2011, beschloss die Bundesregierung den kompletten Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022.

Heute stehen in Deutschland über 30.000 Windenergieanlagen an Land sowie in Nord- und Ostsee. Millionen Photovoltaikmodule sind auf Hausdächern, Gewerbegebäuden oder Kuhställen installiert. Immer mehr Strom und Wärme kommt aus Biomasse-, Kraft-Wärme-Kopplungs- oder Geothermie-Anlagen. Diese Entwicklung ist auch einer gut und breit aufgestellten Forschungslandschaft in Deutschland zu verdanken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Unternehmen, Forschungsinstituten und Hochschulen haben in den letzten Jahrzehnten mit Hochdruck an Technologien geforscht, die Erneuerbare-Energien-Anlagen noch leistungsstärker machen oder Gebäude und Stadtquartiere mit Wärme ohne fossile Brennstoffe versorgen.

Energieforschung als Marathonlauf

Ihr Fazit: Die Energiewende ist machbar, auch wenn die energiepolitischen Herausforderungen nicht ab-, sondern zugenommen haben. Denn zum Atomausstieg hat die Bundesregierung im Juli 2020 auch das schrittweise Aus für die heimischen Kohlekraftwerke bis spätestens 2038 beschlossen. Energieforschung ist also in ihrer ganzen Breite gefragt. Dabei hilft die enge Vernetzung der Beteiligten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Zu diesem Zweck hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Forschungsnetzwerke Energie ins Leben gerufen.

Vor rund 150 Jahren war die Situation noch eine andere. Damals verhalfen einzelne Pioniere der Wissenschaft wie Werner von Siemens oder Carl Benz mit Tüftlermentalität, Erfindergeist und manchmal auch unter Einsatz ihres eigenen Vermögens neuen Technologien zum Durchbruch. Seit dieser Zeit haben sich die Rahmenbedingungen für die Forschung immer weiter verändert. Zwar sind Innovationsfreude und Kreativität Einzelner weiterhin gefragt, doch die vielen komplexen Technologien erfordern, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten in nationalen oder sogar internationalen Verbünden oder Kooperationen zusammenarbeiten.

Darüber hinaus hat sich der Staat vor etwa fünfzig Jahren dazu bekannt, zusätzlich zu einer soliden Grundfinanzierung - wie etwa der Forschung an Hochschulen und in staatlichen Forschungseinrichtungen - auch eine strategisch an der Energiepolitik orientierte Energieforschungsförderung zu unterstützen. Damit lassen sich flexibel und gezielt technische Entwicklungen am Bedarf des Energiesystems über einen längeren Zeitraum steuern und unterstützen.

1977 wurde das erste von mittlerweile sieben Energieforschungsprogrammen der Bundesregierung aufgelegt. Es entstand vor dem Hintergrund der Ölkrise. Die erdölexportierenden arabischen Staaten drosselten als Reaktion auf den israelisch-arabischen Jom-Kippur-Krieg die Ölproduktion, wodurch sich der Ölpreis stark erhöhte. In Deutschland stiegen in Folge die Heiz- und Treibstoffkosten. Die Bundesregierung beschloss daraufhin vier autofreie Sonntage, um einen Versorgungsengpass mit Erdöl zu verhindern. Aber nicht nur: Die Abhängigkeit von begrenzt vorhandenen fossilen Ressourcen in anderen Ländern wurde erkannt. Sie war ein Weckruf und gleichzeitig der Start für die bundesdeutsche Energieforschungsförderung auf programmatischer Basis wie sie bis heute existiert.

Staatliche Energieforschungsprogramme geben Orientierung

Das aktuelle 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung ist in einem breiten Konsultationsprozess mit den an der Energiewende beteiligten Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft entstanden. Auch wenn die gewählten Politikerinnen und Politiker den politischen Gestaltungsauftrag haben: Umgesetzt werden können die von der Regierung formulierten Ziele nur, wenn Forschungseinrichtungen, Industrieunternehmen und Hochschulen realistische und verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen und technologische Weiterentwicklungen erhalten. Dazu gehören in erster Linie Fördergelder, die über eine bestimmte Laufzeit an fest umrissene Forschungsprojekte gebunden sind. Wenn künftig Sonne, Wind und Biomasse für mehr grünen Strom sorgen sollen, müssen beispielsweise Windenergie- und Photovoltaikanlagen leistungsstärker und weniger störanfällig werden. Auch das Stromnetz muss an die neuen Anforderungen angepasst sein. Denn statt weniger Großkraftwerke speisen heutzutage tausende dezentraler Energieerzeuger ihren Strom ein. Dafür war unser Stromnetz ursprünglich nicht ausgelegt. Es muss also flexibler werden.

Neben der Stromwende ist auch die sogenannte Wärmewende in Deutschland in vollem Gang. Erdölheizungen sind Auslaufmodelle. Stattdessen sollen luftgekoppelte, wassergekoppelte oder erdgekoppelte Wärmepumpen künftig Wohnhäuser, Büros und Industriebetriebe im großen Stil heizen. Ungleich größer ist die Herausforderung, dass für viele industrielle Prozesse Wärme von mehreren hundert Grad Celsius benötigt wird: denn umweltfreundliche Lösungen müssen weiterhin die Qualität der Prozesse sicherstellen.

Energieforschung hilft, innovative Technologien marktfähig zu machen

Wie die Forschung und Entwicklung innovativer Energietechnologien gefördert werden sollen, ist unter anderem im derzeit laufenden 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung nachzulesen. Bis zum Jahr 2050 soll der Primärenergieverbrauch demnach gegenüber 2008 halbiert, der Anteil erneuerbarer Energien auf 60 Prozent am Bruttoendenergieverbrauch ausgebaut und ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand erreicht werden. Gefördert werden deshalb Forschungsprojekte, die zu einer klimafreundlichen, bezahlbaren und sicheren Versorgung beitragen - zum Beispiel durch Erneuerbare-Energien-Technologien oder durch eine deutlich verbesserte Energieeffizienz. Dafür stehen jährlich rund 1,3 Milliarden Euro Fördergelder zur Verfügung.

Neben einzelnen Forschungsprojekten oder –verbünden unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Reallabore der Energiewende. Diese Labore sind keine Forschungsräume in Hochschulgebäuden oder wissenschaftlichen Einrichtungen. Es sind groß angelegte Forschungskooperationen wie die Reallabore Westküste 100 oder IW3 , in denen neue Technologien und Geschäftsmodelle im industriellen Maßstab und im Zusammenspiel erprobt werden.

Energieforschung: Puzzeln für das große Ganze

Mittlerweile rückt die Sektorkopplung, also die Vernetzung der einzelnen Energiewende-Bausteine, immer mehr in den Forschungsfokus. So produzieren Windenergie- und Photovoltaikanlagen bei bestimmten Witterungsverhältnissen mehr grünen Strom als aktuell verbraucht werden kann. Doch wohin mit der überschüssigen Energie? Derzeit wird dieser Strom exportiert. Ideal wäre es, ihn zwischenzuspeichern, bis er bei Bedarf ins Netz eingespeist werden kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen deshalb mit Hochdruck an großen Energiespeichern zu marktwirtschaftlich akzeptablen Preisen. Mit Power-to-X-Technologien ließe sich der Strom künftig in großen Mengen in gut speicherbares Gas umwandeln. Bei Bedarf könnte dieses dann rückverstromt werden.

Wasserstoff wird hierbei weltweit eine tragende Rolle spielen - das Gas kann leicht gespeichert und transportiert werden. Damit wird die Energieversorgung flexibler: Windenergieanlagen in der Nordsee können dann beispielsweise Strom produzieren und dieser wird durch Elektrolyse als Wasserstoff zu Industrieunternehmen, etwa im Ruhrgebiet, transportiert. Mit dem Gas könnte dort etwa die Stahlproduktion dekarbonisiert, also klimafreundlicher, werden. Außerdem können wasserstoffbetriebene Schiffe oder Lastwagen den CO2-Ausstoß im Verkehr reduzieren.

Das alles macht Wasserstoff zu einem echten Torjäger für den Energiesektor. Die Bundesregierung hat deshalb im vergangenen Juni eine Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Sie soll dazu beitragen, eine wettbewerbsfähige Wasserstoff-Produktion aufzubauen und Wasserstoff als klimafreundlichen Energieträger unter anderem in der Industrie und im Verkehr einzusetzen.

Nicht nur das Klima profitiert, auch die Wirtschaft

Mit ihrer Energieforschungspolitik schafft die Bundesregierung nicht nur die Grundlage für die Energiewende in Deutschland. Hier entwickeltes Know-how trägt auch dazu bei, die führende Position der Industrie und Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der modernen Energietechnologien zu halten und auszubauen. Denn Klimaschutz darf nicht an Staatsgrenzen enden. Viele Länder weltweit haben sich den Pariser Klimazielen verpflichtet. Neue Energietechnologien werden benötigt. Deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen exportieren ihre Güter und Dienstleistungen in alle Welt. Das wiederum sichert in Deutschland Arbeitsplätze.

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