Warum reden alle über Wasserstoff?

Kleines Element ganz groß: Wasserstoff ist das kleinste chemische Element. Beim Erreichen der Klimaziele soll der Energieträger aber eine große Rolle spielen. Warum? Das erklärt Professor Ulrich Wagner von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft im Interview.

Professor Ulrich Wagner Portrait© Andreas Heddergott / TU München

Herr Wagner, wer sich über unsere zukünftige Energieversorgung informiert, hört viel über Wasserstoff als Zukunftstechnologie oder Schlüsselmolekül der Energiewende. Regierungen weltweit investieren Milliardenbeträge in die Forschung und Entwicklung von Wasserstofftechnologien. Warum ist Wasserstoff so wichtig?

Wasserstoff ist auf der Erde das am häufigsten vorkommende Element - immer gebunden etwa in Wasser oder mit Kohlenstoff. Mit Sauerstoff verbrennt das Gas nahezu rückstandsfrei, ohne Asche oder klimaschädliche Abgase zu Wasserdampf. Wasserstoff kann sehr flexibel, insbesondere aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt und vielfältig genutzt werden, zum Beispiel als Treibstoff für Fahrzeuge, als Brennstoff für Heizungen oder als Rohstofflieferant für industrielle Prozesse.

Wie kann Wasserstoff dazu beitragen, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht?

Wichtig für die Energiewende ist, dass wir energieintensive Verfahren effizienter machen. Das geht über zwei Wege: Fossile Energieträger werden durch elektrische Energie ersetzt. Nicht alle Bereiche lassen sich aber sinnvoll elektrifizieren, wie manche Industrieprozesse, Schwerlast- oder Flugverkehr. In solchen Fällen kommt Wasserstoff ins Spiel: Mit Wasserstoff haben wir weiterhin einen Verbrennungsprozess, aber auf Basis von Wasserstoff, nicht von Erdgas, Benzin oder Kohle. Wasserstoff ist somit ein wichtiger Hebel, um den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2) zu senken – wenn er aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt wird.

Wasserstoff kann zudem grünen Strom für längere Zeit speichern. Energiespeicher brauchen wir zwingend, um Angebot und Nachfrage von Wind- und Solarenergie auszugleichen. Ziel Deutschlands für 2050 ist es, dass unser gesamter Strom treibhausgasneutral erzeugt wird. Doch schon jetzt, bei einem Anteil der erneuerbaren Energiequellen am Stromverbrauch von etwa 50 Prozent, stoßen wir an Grenzen. Denn Sonne und Wind ist es egal, wann und wo wir Strom brauchen. Deshalb sind Energiespeicher wie Wasserstoff so wichtig.

Wie wird Wasserstoff hergestellt?

Heute stellen wir Wasserstoff hauptsächlich aus Kohlenwasserstoffen her. Dabei wird Wasserstoff bei hohen Temperaturen vom Kohlenstoff abgespalten und es wird viel CO2 freigesetzt. Die Industrie nutzt fast ausschließlich Erdgas, Öl oder Kohle als Kohlenstoffquelle. Wir sprechen hier von grauem Wasserstoff. Wir können Wasserstoff auch mithilfe von Elektrolyseuren herstellen: Diese Geräte nutzen elektrischen Strom, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Wird Strom aus erneuerbaren Energien genutzt, sprechen wir von grünem, CO2 -neutralem Wasserstoff.

Wasserstoff kann somit Brücken zwischen der fossilen und der erneuerbaren Energiewelt bauen. Wir können heute schon Technologien wie Elektrolyseure oder Brennstoffzellen, die Wasserstoff zu Strom und Wärme umwandeln, einführen. Diese können wir zunächst noch mit fossilen Energieträgern betreiben. So kommen Wasserstofftechnologien in die Praxis, wir bauen einen Markt auf und können schrittweise auf grünen Wasserstoff umstellen.

Schon vor 150 Jahren sagte Jules Verne, Wasserstoff sei „die Kohle der Zukunft“. Warum gibt es nicht bereits eine Wasserstoffwirtschaft?

Wasserstoff muss man erzeugen. Demgegenüber war es viel praktischer Biomasse wie Holz, das einfach zu gewinnen ist, sowie Kohle, Öl und Gas zu nutzen. Diese Energieträger sind günstiger und speichern mehr Energie pro Volumen. Man wusste zwar immer um die Vorteile von Wasserstoff als Energieträger und Energiespeicher. Es stellte sich aber jedes Mal heraus, dass es preiswertere Methoden gab, das Energiesystem zu verbessern.

Damals war der Anteil der erneuerbaren Energien noch gering. Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem Wasserstoff seinen Platz im System findet. Wenn wir die Klimaziele weiterhin ernst nehmen, muss mehr elektrischer Strom in den Sektoren Verkehr, Industrie und Wärmeerzeugung genutzt und das Energiesystem flexibler gestaltet werden. Grüner Wasserstoff ist neben Strom ein Hoffnungsträger für diese Aufgaben.

Wie steht es um die Energiebilanz bei der Erzeugung von Wasserstoff und seinen Folgeprodukten?

Um Wasserstoff zu erzeugen, brauchen wir mehr Energie als für die reine Stromerzeugung. Denn für die nachgeschaltete Wasserstofferzeugung fließt der Strom in den Elektrolyseur. Dieser hat Wirkungsgradverluste von 25 Prozent. Das heißt, nur drei Viertel des zugeführten Stroms stecken im erzeugten Wasserstoff. Das Gas muss dann noch für Speicherung, Transport oder Nutzung aufbereitet werden. Wasserstoff wird hierfür entweder stark komprimiert oder verflüssigt. In beiden Fällen kostet das weitere 30 Prozent Energie. Am Ende der Bereitstellung von Wasserstoff kann somit nur die Hälfte der ursprünglich zugeführten Energie genutzt werden. Jetzt kommt es entscheidend darauf an, wofür der Wasserstoff genutzt werden soll. Am effizientesten wäre es, den Wasserstoff direkt zu nutzen, zum Beispiel in einer Brennstoffzelle für die Mobilität oder als Ersatz von Kohlekoks bei der Stahlerzeugung.

Batteriebetriebene Autos benötigen doch viel weniger Energie als solche mit Brennstoffzellen?

Eine Brennstoffzelle kann aktuell nur 40 Prozent des Wasserstoffs in elektrische Energie umwandeln. Autos mit Batterie liegen hingegen bei 80 Prozent. Aber wir müssen weitere Kriterien einbeziehen: Brennstoffzellen-Fahrzeuge schaffen – anders als Batteriefahrzeuge – Reichweiten von bis zu 800 Kilometern und können in wenigen Minuten geladen werden. Worauf ich hinaus will: Beide Varianten der Elektromobilität haben ihren Platz im Energiesystem.

Welche Rolle spielt die Energieforschung beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft?

Wir müssen es schaffen, dass grüner Wasserstoff energieeffizienter hergestellt, transportiert und gespeichert wird. Es geht in der Forschung wesentlich darum, den Wirkungsgrad von Systemen zu steigern. Zudem müssen die Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff weiter sinken. Der Bedarf an Wasserstoff wird in den kommenden Jahren weltweit steigen. Deutschland wird einen Großteil des Wasserstoffs importieren. Forschung und Entwicklung können Deutschland seinen Rang als Technologieexporteur sichern.

Herr Wagner, ich danke Ihnen für das Gespräch. Das Interview führte Eva Mühle.

Ulrich Wagner forschte 25 Jahre am Lehrstuhl für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik an der Technischen Universität München und war gleichzeitig Wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle für Energiewirtschaft. Von 1996 bis 2009 leitete er die Koordinationsstelle der Wasserstoff-Initiative Bayern. 2010 bis 2015 war er Vorstand für Energie und Verkehr im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Seit Kurzem ist er Sprecher der Transferforschung für die Reallabore der Energiewende zu Sektorkopplung und Wasserstofftechnologien - ein BMWi-Förderinstrument, um Wasserstofftechnologien im echten Betrieb zu testen.