Was passiert eigentlich in einem Reallabor der Energiewende?

In Reallaboren der Energiewende stellen sich innovative Technologien aus der Energieforschung den Herausforderungen der Praxis: Funktioniert das wirklich? Was passiert auf der Systemebene? Rechnet sich das? Wie und vom wem sie praktisch erprobt werden, erfahren Sie hier:

Illustration: Leichtbau unter einer Lupe© BMWi

Darum geht's: Reallabore der Energiewende testen innovative Technologien für die Energiewende im industriellen Maßstab und unter realen Bedingungen. Wissenschaft, Industrie und die Menschen vor Ort beteiligen sich daran.

Was haben Gemeinden wie Lägerdorf oder Hemmingstedt nahe der Nordsee, mit der südlichsten Gemeinde Baden-Württembergs, Grenzach-Wyhlen, oder der Großstadt Essen im Ruhrgebiet gemeinsam? Sie sind zusammen mit weiteren Orten in ganz Deutschland wichtige Adressen für Pionierarbeiten in Sachen Energiewende. Als Standorte der „Reallabore der Energiewende“ werden dort innovative Energietechnologien im echten Betrieb im industriellen Maßstab getestet, mit denen sich Forscherinnen und Forscher zuvor oft jahrelang in der Theorie oder im Versuchsmaßstab beschäftigt haben. Überzeugt der Probebetrieb vor Ort, können diese Erfahrungen für die Markteinführung in Deutschland und der Welt genutzt werden.

Das Konzept des Reallabors setzt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf zwei grundsätzlich verschiedenen Wegen um. Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung machen es möglich, unter realen Bedingungen innovative Technologien und Geschäftsmodelle zu erproben, die mit dem bestehenden Rechts- und Regulierungsrahmen nur bedingt vereinbar sind. Der Fokus liegt auf digitalen Innovationen und Experimentierklauseln sind häufig die rechtliche Grundlage. Dabei handelt es sich um zeitlich begrenzte Ausnahmen von bestimmten Vorschriften.

Mit dem Förderformat Reallabore der Energiewende als neue Säule der Energieforschung unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Überführung von Energieinnovationen in die breite Anwendung. So wird die Erprobung technischer Innovationen und neuer Geschäftsmodelle im systemischen Zusammenspiel in Schlüsselbereichen der Energiewende ermöglicht. Dafür stehen jährlich rund 100 Millionen Euro zur Verfügung. Doch wieso brauchen wir diese großangelegten Testräume der Energiewende für Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft?

Lösungen für ein vernetztes Energiesystem

Deutschlands Klimaziele sind ambitioniert: Bis 2030 sollen die klimaschädlichen Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken, für 2050 lautet das Ziel Treibhausgasneutralität. Damit das gelingt, müssen Energieerzeugung und Energieverbrauch zusammen gedacht werden. Im Labor aber lassen sich viele drängende Fragen nicht abschließend erforschen, zum Beispiel: Wie können wir mehr erneuerbaren Strom in Sektoren wie Industrie und Verkehr integrieren und so deutlich weniger CO2 freisetzen? Wie bauen wir eine erfolgreiche Wasserstoffwirtschaft auf? Wie kann Energie aus erneuerbaren Quellen in Stadtquartieren intelligent fließen und so das überregionale Netz entlasten?

In den Reallaboren der Energiewende testen Unternehmen, wie zum Beispiel die Erzeugung von grünem Wasserstoff nachhaltig und effizient betrieben werden kann. Sie prüfen Hand in Hand mit Forschungseinrichtungen, wie groß das jeweilige wirtschaftliche und technologische Potenzial ist und welche regulatorischen Herausforderungen bestehen. Dabei entstehen Leitlinien, die helfen sollen, ähnliche Konzepte auch in anderen Regionen umzusetzen. Zudem sollen die Ideen und Fragen von Menschen vor Ort in diesen Prozess eingebunden werden.

Auftakt mit Fokus auf Wasserstofftechnologien

Seit Kurzem ist auch die Kleinstadt Grenzach-Wyhlen an der Grenze zur Schweiz Schauplatz eines Reallabors der Energiewende. Herzstück des Vorhabens H2-Wyhlen ist eine bereits bestehende Power-to-Hydrogen-Anlage. Dabei nutzen die Betreiber Strom aus dem lokalen Wasserkraftwerk, um den vielfältig einsetzbaren Energieträger Wasserstoff herzustellen. Die Beteiligten - ein regionaler Energieversorger, ein Chemieunternehmen und zwei Forschungseinrichtungen - möchten die Leistung der Anlage verfünffachen und Wasserstoff für Verkehr und Industrie nutzbar machen. Die Projektpartner werden dabei prüfen, wie eine Wasserstoff-Infrastruktur möglichst wirtschaftlich betrieben werden kann. Auch die Menschen in Grenzach-Wyhlen sollen davon profitieren. Die Verbundpartner planen, die Abwärme der Anlage und des Generators im Wasserkraftwerk in das Wärmenetz von anliegenden Wohngebieten einzuspeisen.

Die Reallabore der Energiewende sind im 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung verankert und Teil der Nationalen Wasserstoffstrategie. Zum Auftakt des neuen Formats hatte das BMWi 2019 einen Ideenwettbewerb ausgelobt und insgesamt 20 Projektvorschläge ausgezeichnet. Die umsetzungsreifen Reallabore werden nun nach und nach verwirklicht. Es geht dabei vor allem um die Themen Wasserstofftechnologien und Sektorkopplung sowie um energieoptimierte Quartiere. Nach dem erfolgreichen Start der ersten Reallabore der Energiewende soll das Format jetzt thematisch erweitert werden. Um den besonderen Stellenwert traditioneller Energieregionen für das Energiesystem von morgen zu unterstreichen, werden außerdem zusätzliche Fördermittel für Reallabore in Strukturwandelregionen zur Verfügung gestellt.