Wie funktioniert eigentlich der Europäische Emissionshandel?

Punktlandung fürs Klima: Der Europäische Emissionshandel gilt als besonders zielsicher, wenn es darum geht, Emissionen auf lange Sicht zu reduzieren. Warum er dabei Anreiz und Versicherungsgarantie gleichzeitig ist, erfahren Sie hier.

Illustration: Erneuerbare Energien, Fabrikgebäude und Wohnhaus unter einer Lupe© BMWi

Darum geht's: Schädliche Treibhausgasemissionen sollen sinken, um das Klima zu schützen – zu möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten.

Er ist das wichtigste Instrument der europäischen Klimapolitik und soll nichts Geringeres erreichen, als die für den Klimaschutz dringend notwendige Senkung der Treibhausgasemissionen. 2003 wurde das Europäische Emissionshandelssystem (ETS) vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU beschlossen, am 1. Januar 2005 trat es mit der Emissionshandelsrichtlinie in Kraft. 2019 beteiligten sich bereits 31 europäische Länder mit etwa 11.000 emissionsintensiven Anlagen aus der Stromproduktion und den CO2-intensiven Industrien am europäischen Emissionsrechtehandel – mit Erfolg: Seit 2005 sind die Emissionen in dem weltweit größten Emissionshandelssystem um fast 30 Prozent gesunken und liegen damit über dem EU-Ziel von 21 Prozent. (Mehr dazu lesen Sie hier) Doch wie funktioniert das ETS genau und wie lässt es sich steuern?

So funktioniert das ETS in der Praxis

Wer eine emissionsintensive Anlage betreibt, die im ETS erfasst ist, muss für jede emittierte Tonne CO2 ein Zertifikat in der "Schublade" haben. Manche Anlagenbetreiber erhalten jedes Jahr eine bestimmte Menge an Emissionsrechten kostenlos, damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährdet wird. Im Übrigen müssen die Anlagenbetreiber die Emissionsrechte aber kaufen – entweder in Auktionen oder von anderen Marktteilnehmern. So bekommt jede Tonne eingespartes CO2 (kurz auch 1 EUA genannt) einen direkten Geldwert, der durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Jedes Jahr Ende April müssen die Anlagenbetreiber Bilanz ziehen. Stimmt die Zahl der Zertifikate nicht mit der tatsächlich ausgestoßenen CO2-Menge überein, wird eine Strafe von 100 Euro pro fehlendem EUA fällig. Anhand der offengelegten Zahlen wird außerdem eine Emissionsprognose für das nächste Jahr erstellt.

Zertifikate aus der digitalen Schublade

Die Schublade, in der die Anlagenbetreiber die ihnen zugeteilten CO2-Zertifikate lagern, ist eine digitale. Denn der Handel mit CO2-Zertifikaten findet nur in elektronischer Form statt. Er funktioniert ähnlich wie der Strommarkt über Börsen, aber auch außerhalb. Solche meist langfristigen und direkten Geschäfte heißen in der Fachsprache auch "Over-the-counter“ (über den Ladentisch). Die wichtigsten Handelsplätze für CO2-Zertifikate sind die ECX (European Climate Exchange) in London, die EEX in Leipzig oder die EXAA in Wien. Jeden Tag um 11 Uhr veröffentlicht die EEX den sogenannten EEX Carbon Index, den Marktpreis für den kurzfristigen Handel (Spotmarktpreis) für die CO2-Preisentwicklung in Europa.

Cap & Trade – die wirksamste Idee für die Langzeitherausforderung Klimawandel

Der Emissionshandel funktioniert nach dem Prinzip des sogenannten "Cap & Trade". Eine Obergrenze (Cap) legt fest, wie viele Treibhausgasemissionen von den emissionshandelspflichtigen Anlagen insgesamt ausgestoßen werden dürfen. Die Mitgliedstaaten geben eine entsprechende Menge an Emissionszertifikaten an die Anlagen aus - teilweise kostenlos, teilweise über Versteigerungen. Die Emissionszertifikate können auf dem Markt frei gehandelt werden (Trade). Dadurch bildet sich ein Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen. Der Handel ermöglicht also die nötige Flexibilität, um sicherzustellen, dass Emissionen dort verringert werden, wo dies die geringsten Kosten verursacht.

Der Preis für CO2-Emissionen sowie die Signalwirkung der Obergrenze (Cap) fördern außerdem Investitionen in saubere, kohlenstoffarme Technologien. Von den vielen Emissionsminderungsansätzen, die es bisher gab, gilt Cap & Trade als der wirksamste und treffsicherste. Das ETS ist damit ein Anreiz, Emissionen zu sparen. Es fungiert aber auch als Versicherungsgarantie dafür, dass die gesteckten Emissionsziele auch dann erreicht werden, wenn andere Maßnahmen in den vom ETS abgedeckten Sektoren - wie der Ausbau der erneuerbaren Energien oder die Stilllegung von Kohlekraftwerken - dafür nicht ausreichen. Diese anderen Maßnahmen wirken sich hauptsächlich auf den Preis der Emissionsrechte aus. Niedrige Preise für Emissionsrechte müssen deshalb nicht bedeuten, dass die Ziele im Emissionshandel nicht ambitioniert sind. Sie können vielmehr auch daraus resultieren, dass andere Maßnahmen zu niedrigeren Emissionen und damit zu einer geringeren Nachfrage nach Emissionsrechten führen.

Stabilitätsreserve gegen Preisschwankungen

Um das EU-Emissionshandelssystem flexibel gegenüber starken Nachfrage- und damit Preisschwankungen zu machen, wurde 2015 eine Marktstabilitätsreserve (MSR) eingeführt. Sie soll überschüssige Zertifikate schrittweise aus dem Markt nehmen. Zu überschüssigen Zertifikaten kann es kommen, wenn in Zeiten eines konjunkturellen Einbruchs deutlich weniger Zertifikate gebraucht werden. Die MSR stellt in diesem Fall sicher, dass diese nicht benötigten Zertifikate nicht später genutzt werden können und dann zu höheren Emissionen führen würden.

Nicht alle Emissionen werden vom ETS erfasst

Die beteiligten Industriezweige sind aber immerhin für etwa 50 Prozent der europäischen CO2-Emissionen verantwortlich. Enthalten sind zum Beispiel fossile Energieerzeugungsanlagen ab 20 Megawatt (MW) installierter Leistung; die Kohleindustrie mit ihren Kokereien, Raffinerien und Crackern; die Metallindustrie - unter anderem mit Eisen- Stahl- und Aluminiumhütten; die Zement- und Kalkindustrie sowie die Gips- und Mineralfaserherstellung; die Glas-, Keramik- und Ziegelindustrie; die Papier- und Zellstoffindustrie, die Chemische Industrie; die Herstellung technischer Gase (wie Lachgas und Fluorkohlenwasserstoffe) und seit 2012 auch der europäische Luftverkehr.

Das ETS hat seine Wirksamkeit in den vergangenen 15 Jahren bewiesen. Deshalb wird diskutiert, mittelfristig auch die Sektoren Wärme und Transport und möglicherweise die Bereiche Landwirtschaft und Landnutzung vom EU-Emissionshandel zu erfassen. Auch über die Einbeziehung sogenannter negativer Emissionen wird nachgedacht. Sie könnte ein weiterer finanzieller Anreiz für solche Unternehmen sein, die es schaffen, CO2 sicher, dauerhaft, nachhaltig und messbar der Atmosphäre zu entziehen.

Nationaler Emissionshandel im Klimapaket beschlossen

Mit dem Klimapaket hat die Bundesregierung im Herbst 2019 die Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems (nEHS) beschlossen. Das nEHS ist vom Europäischen Emissionshandel unabhängig. Es gilt im Kern für die Sektoren Verkehr und Gebäude, die im EU-ETS nicht abgedeckt sind. Ab 2021 soll demnach der Brenn- und Kraftstoffhandel zum Kauf von Emissionszertifikaten für ihre Produkte verpflichtet werden. Eine Verbindung der beiden Systeme unter einem gemeinsamen Cap wäre mittel- bis langfristig denkbar.