Neue Ideen für die Wärmeversorgung: Kohlerevier wird CO2-ärmer

Kohleregionen könnten ihre alte Fernwärmeversorgung künftig in ein klimafreundliches, CO2-armes Versorgungssystem wandeln. Wie das gelingen kann, erprobt ein Reallabor der Energiewende jetzt exemplarisch an vier Standorten in Nordrhein-Westfalen.

Fernwärmeleitungen.© stock.adobe.com/struvictory

Das vielbeachtete Projekt "TransUrban.NRW" untersucht neue Ideen für die Wärmeversorgung in einer typischen vom Kohlebergbau geprägten Strukturwandelregion. Erneuerbare Energie aus Geothermie, Abwasser und niedrig temperierte Abwärme sollen in großem Umfang in die Versorgung einbezogen werden. Dazu benötigte Niedertemperaturnetze können neu errichtet oder in die bestehende Infrastruktur integriert werden. Das Projekt hat eine Laufzeit von fünf Jahren und wird mit rund 16,7 Millionen Euro vom BMWi gefördert.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte zum Start des Reallabors: "Das ist ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten. Unsere Reallabore verbinden großformatige Innovationsprojekte mit einem industriepolitischen Anspruch. Sie erproben neue Zukunftstechnologien der Energiewende und leisten so einen wichtigen Beitrag für den Strukturwandel in den ehemaligen Kohleregionen Nordrhein-Westfalens."

Die Reallabore der Energiewende sind im 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung verankert. Mit ihnen sollen Erkenntnisse aus der Forschung vor Ort im realen Umfeld umgesetzt werden, zum Beispiel in Quartieren, einer Stadt oder auch in mehreren Bundesländern. So können Unternehmen technische und andere Innovationen in Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern testen. Neben Energietechnologien und Konzepten spielen dabei auch regulatorische Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle: Welche Hemmnisse gibt es? Wie kann man diese überwinden? Die Reallabore der Energiewende sollen Antworten auf solche Fragen liefern, die jeweils auf ähnliche Standorte in Deutschland übertragen werden können. Damit leisten sie einen Beitrag zum Umbau des Energiesystems.

Mit niedrigeren Temperaturen CO2 einsparen

"TransUrban.NRW" umfasst vier Quartiere in Gelsenkirchen, Mönchengladbach, Herne und Erkrath. Kohle prägte hier jahrzehntelang die Energieversorgung. Hochtemperatur- und Dampfnetze durchziehen die Regionen. Die Fernwärmeleitungen werden bisher mit hohen Systemtemperaturen betrieben. Nur so können die Wärme aus der Kohleverstromung und hochtemperierte Abwärme genutzt werden. Der Nachteil: CO2-arme erneuerbare Energie und Niedertemperatur-Abwärme können nicht effizient eingebunden werden. Sie benötigen Systeme, die mit niedrigen Temperaturen von 10 bis 40° Celsius funktionieren.

Generationenwechsel: Neue Wärmenetze ersetzen alte Kohle-Infrastruktur

Wärmenetze der 5. Generation sollen helfen, das Problem zu lösen. In großem Umfang könnten sie bald den Wärme- und Kältebedarf der Einwohner decken. Als Energiequellen dienen zum Beispiel Geothermie-Anlagen (Erdwärme), die vor Ort in den Quartieren installiert werden. Die Expertinnen und Experten machen sich außerdem die Kopplung von Strom- und Wärmesektor zunutze. So soll beispielsweise lokal erzeugter Photovoltaik-Strom die Wärmeversorgung über Wärmepumpen unterstützen.

Die neuen Systeme haben einen weiteren Vorteil: Sie ermöglichen eine Wärmeverschiebung zwischen Erzeuger und Verbraucher. Gebäude erhalten zum Beispiel die Abwärme von anderen Gebäuden, Rechenzentren oder Industrieanlagen, die zum gleichen Zeitpunkt gekühlt werden müssen. Damit die Energiesysteme der 5. Generation effizient arbeiten, brauchen sie auch eine intelligente, digitale Steuerung. Jedes der vier Reallabor-Quartiere steht für einen anderen Innovationsschwerpunkt und unterscheidet sich in seiner Struktur.

Neue Rollenverteilung: Von Prosumern und Energie-Plattformbetreibern

Die Stadtwerke liefern, der Kunde verbraucht: Diese klassische Rollenverteilung bei der Energieversorgung wandelt sich nun auch in den vier Stadtquartieren in Nordrhein-Westfalen. Nicht mehr einige zentrale Großkraftwerke, sondern viele kleinere und dezentrale Erzeugeranlagen vor Ort sollen zunehmend den Energiebedarf decken. Auch die Rolle der Wärmenetzbetreiber wird dadurch komplexer: Sie müssen die Anlagen sowie Angebot und Nachfrage über Energieplattformen intelligent steuern. Die ehemaligen Konsumenten werden zu "Prosumern". Denn sie "verbrauchen" jetzt nicht nur Energie, sondern können diese auch selbst erzeugen, zum Beispiel über Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach des Eigenheims.

Regulatorische Rahmenbedingungen optimieren

Mit "TransUrban.NRW" wird der Wärmebedarf vermehrt über elektrische Energie gedeckt. Die Betreiber und ihre Kunden sind damit vom Strompreis-Modell abhängig. Momentan ist das für die Energieversorger wirtschaftlich aber wenig attraktiv. Deshalb wird auch untersucht, wie man den regulatorischen Rahmen optimieren und neue Anreize schaffen kann. Dazu entwickeln die Experten und Expertinnen unter anderem innovative Geschäftsmodelle für Betreiber.

"TransUrban.NRW": Preisgekröntes Reallabor

"TransUrban.NRW" zählt zu den Gewinnern des Ideenwettbewerbs Reallabore der Energiewende, die Bundeswirtschaftsminister Altmaier im Juli 2019 verkündet hatte. Anfang des Jahres startete mit "SmartQuart" das erste von 20 Reallaboren der Energiewende. Ein Ziel des Projektes ist es, die Energieflüsse in und zwischen drei Quartieren in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz intelligent zu optimieren. Unterstützt wird das unter anderem durch ein digitales Quartiersmanagement sowie eine zentrale Steuereinheit zur optimalen Steuerung der Quartiere.