Energieforschung 7.0: Raus aus dem Labor, rein in die Praxis

Das siebte Energieforschungsprogramm wartet mit einer Reihe von Neuerungen auf – zum Beispiel, um Forschungsergebnisse schneller in die Praxis umzusetzen.

forscherin betrachtet buntes Prisma© BMWi/Holger Vonderlind

Am 19. September 2018 hat die Bundesregierung das 7. Energieforschungsprogramm verabschiedet. Erstmals liegt der Fokus auf dem Technologie- und Innovationstransfer. Konkret geht es dabei um die Frage: Wie lassen sich Ergebnisse aus der Forschung schneller in erfolgreiche Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen umsetzen, die am Markt erfolgreich sind und die Energiewende wie geplant voranbringen?

Reine Technologieförderung damals, systemischer Fokus heute

Während die Schwerpunkte der Vorgängerprogramme zunächst auf der reinen Förderung von Einzeltechnologien lagen, wird die Energieforschungsförderung in den kommenden Jahren zunehmend systemisch und gesamtgesellschaftlich ausgestaltet – mit einem intensiven Bezug zur praktischen Anwendung. Energieerzeugung und Verbrauch lassen sich nicht mehr losgelöst voneinander betrachten, sondern müssen in einem vernetzten Energiesystem zusammen gedacht werden. So wird neben der Weiterentwicklung einzelner Technologien auch deren optimales Zusammenspiel im Energiesystem künftig stärker im Mittelpunkt der Forschungsförderung stehen.

Ein in diesem Zusammenhang zentrales Thema ist die Sektorkopplung: Strom aus erneuerbaren Energien kommt nicht nur zur Stromversorgung zum Einsatz, sondern zunehmend auch zur Wärmeversorgung oder im Verkehrsbereich, um dort fossile Brennstoffe zu ersetzen. Dabei kann der Strom direkt genutzt werden, zum Beispiel um Elektroautos aufzuladen. Oder indirekt, indem der Strom zur Produktion von Wasserstoff eingesetzt und dieser später zurückverstromt wird – etwa in einer Brennstoffzelle als Heizungsanlage im Keller (mehr zum Thema Sektorkopplung erfahren Sie hier).

Weitere systemübergreifende Forschungsfragen sind unter anderem der verantwortungsvolle Umgang mit natürlichen Ressourcen – etwa beim Einsatz von Leichtbautechnologien für Windkraftanlagen oder dem Recycling seltener Rohstoffe aus alten Solaranlagen. Oder die Entwicklung neuer Materialien, um wertvolle Rohstoffe zu ersetzen und dadurch die Produktionskosten zu senken.

Digitalisierung spielt entscheidende Rolle

Neu ist zudem, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen der Energiewende erstmals in einem Energieforschungsprogramm Berücksichtigung finden – die Stichworte sind hier: transparente Informationen für und konstruktiver Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. Und natürlich spielt auch die Digitalisierung eine entscheidende Rolle, da sie nahezu alle Bereiche der Energieforschung betrifft. Als Beispiele seien hier nur das Internet der Dinge als Grundlage für smarte Fabriken und Industrie 4.0 genannt oder Künstliche Intelligenz, etwa um Stromnetze optimal zu steuern oder Zukunftsszenarien möglichst genau zu berechnen. Und auch die Robotik zur automatisierten Überwachung und Wartung von Anlagen für Stromerzeugung, -speicherung oder -transport sowie virtuelle Kraftwerke sind Beispiele dafür, wie die Digitalisierung die Energiewende voranbringen kann.

Theorie und Praxis gleichzeitig testen

Um vielversprechende Lösungen aus den Forschungsabteilungen schneller an den Markt heranzuführen, setzt die Regierung auf sogenannte Reallabore (eine ausführliche Erklärung finden Sie hier). Ziel eines solchen Reallabors ist es, unter Alltagsbedingungen in einem örtlich und zeitlich begrenzten Projekt Erfahrungen zu sammeln, die dann als Blaupause für eine großflächige Umsetzung dienen können. So sind etwa die Entwicklung intelligenter Energieinfrastrukturen, ihre Vernetzung in Quartieren, die Sektorkopplung oder die Digitalisierung Themen, die sich unter künstlichen Bedingungen im Laborraum nicht ausreichend erforschen lassen. Wie solche Reallabore in der Praxis aussehen könnten, zeigt das bereits bestehende SINTEG-Programm "Schaufenster intelligente Energie“, über das in der Juni-Ausgabe ausführlich berichtet wurde (zum vollständigen Artikel bitte hier entlang).

Frischer Wind durch kreative Start-ups

Beim schnelleren Praxistransfer sollen ab sofort auch Start-ups eine entscheidende Rolle spielen. Mit innovativen Produkten und Dienstleistungen sind sie längst zu einem wichtigen Impulsgeber der Energiewende geworden. Im Rahmen des aktuellen Energieforschungsprogramms erhalten sie nun besseren Zugang zur Forschungsförderung, um mit Forschungseinrichtungen, aber auch mit großen Industrieunternehmen zusammenzuarbeiten und den schnelleren Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis voranzutreiben (mehr zu diesem Thema finden Sie hier).

Zusammenarbeit in Europa und weltweit

Der Umbau des Energiesystems ist längst zu einer globalen Aufgabe geworden und internationale Kooperationen können wichtige Beiträge zur Energiewende in den einzelnen Ländern liefern. Die europäische und weltweite Vernetzung in der Energieforschung wird im Rahmen des neuen Energieforschungsprogramms daher weiter ausgebaut.

Auf europäischer Ebene beteiligt sich Deutschland im Rahmen des SET-Plans (Strategischer Energie-Technologie-Plan). Auf globaler Ebene wiederum arbeitet Deutschland mit der Internationalen Energieagentur (IEA) beim weltweiten Technologiekooperationsprogramm zusammen.

Über 40 Jahre Energieforschung

An der Energieforschung sind drei Ministerien beteiligt: das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Mit dem 7. Energieforschungsprogramm stehen bis 2022 rund 6,4 Milliarden Euro für Projekte zur Energieforschungsförderung bereit – eine Steigerung von rund 45 Prozent gegenüber dem Zeitraum 2013 bis 2017. Vorangegangen war ein breiter Beteiligungsprozess mit Akteuren aus Verbänden und Unternehmen, Wissenschaft, den Mitgliedern der Forschungsnetzwerke Energie, den Bundesländern und weiteren gesellschaftlichen Akteuren, der unter der Federführung des BMWi im Dezember 2016 gestartet und in diesem Umfang bislang einzigartig ist. Die Ergebnisse dieses Prozesses wurden im Februar 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt und sind anschließend in das aktuelle Energieforschungsprogramm eingeflossen.
Seit dem Start des 1. Energieforschungsprogramms im Jahr 1977 hat die Bundesregierung mehr als 17.300 Projekte der nichtnuklearen Energieforschung mit rund 12 Milliarden Euro gefördert.