Wird die Blockchain-Technologie die Energiewirtschaft revolutionieren?

Zu dieser Frage äußern sich Paul-Georg Garmer, Senior Manager Public Affairs beim Übertragungsnetzbetreiber TenneT, und Dr. Maximilian Rinck, Experte für Strommarkt-Design bei der European Energy Exchange (EEX).

Zur Erläuterung:

Wie die Blockchain-Technologie funktioniert, erfahren Sie in unserer Rubrik "direkt erklärt".

PRO: Paul-Georg Garmer

Paul-Georg Garmer, Senior Manager Public Affairs beim Übertragungsnetzbetreiber TenneT.© TenneT

Die Energiewende führt zu grundlegenden Änderungen in der deutschen Energiewirtschaft: Der Strom wird nicht mehr in wenigen Großkraftwerken produziert, sondern dezentral in tausenden von Erneuerbare-Energien-Anlagen, die wie zum Beispiel Batteriespeicher oder Demand Side Management auch notwendige Systemdienstleistungen erbringen werden. Wir müssen neue Wege gehen, um die stark vom Wetter abhängige erneuerbare Stromproduktion flexibel zu steuern und die Versorgung zu sichern. Jeder Kunde, der über Flexibilitäten verfügt, muss diese unabhängig von der Spannungsebene vermarkten können.

Hier liegt das Potenzial der Blockchain. Sie vernetzt dezentral verteilte Anlagen sicher, intelligent und schafft dadurch einen überregionalen Markt für Flexibilitäten. Der Einsatz von netzstabilisierenden Maßnahmen wie der teuren Abregelung von Windanlagen kann so begrenzt werden. Innovative Blockchain-Projekte können zudem den Netzausbau ergänzen. Eine stärkere Nutzung von Daten zur Stromerzeugung und neue Flexibilitäten bieten Chancen für eine effizientere Nutzung und Integration des fluktuierenden Grünstroms. TenneT untersucht deshalb in zwei Pilotprojekten die Potenziale der Blockchain. Gemeinsam mit sonnen e-Services wurden über miteinander vernetzte Heimspeicher zusätzliche Flexibilitäten geschaffen, um Engpässe im Netz zu managen. Mit dem niederländischen Unternehmen vandebron wurden zudem Autoladestationen vernetzt, die Sekundärregelleistung zur Verfügung stellen. In beiden Fällen passen sich die Speicher über ein intelligentes Lademanagement individuell an die jeweilige Netzsituation an und können je nach Bedarf überschüssigen Strom sekundenschnell aufnehmen oder abgeben.

In Zukunft wird es Millionen von kleinen, dezentralen Stromproduzenten, Prosumern und Konsumenten geben. Blockchain kann die Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren entscheidend vereinfachen und Kosten für Stromkunden sparen. Gleichzeitig garantiert eine schlanke Abwicklung höchste Anforderungen an Datensicherheit und Diskretion.

Paul-Georg Garmer ist Senior Manager Public Affairs beim niederländischen Netzbetreiber TenneT.

CONTRA: Dr. Maximilian Rinck

Dr. Maximilian Rinck, Experte für Strommarkt-Design bei der European Energy Exchange (EEX).© EEX

Wenn wir über die durch Blockchain auslösbaren Revolutionen sprechen, meinen wir konkret die vollständige Dezentralisierung des Energiehandels und damit verbunden die Eliminierung von Intermediären wie Börsen oder Clearinghäusern aus der Wertschöpfungskette.

Börsen und Clearinghäuser nehmen jedoch wesentlich mehr Aufgaben wahr als die logistische Verbindung von Angebot und Nachfrage oder die finanzielle Abwicklung von Transaktionen.

Eine zentrale Zulassungsinstanz wie das Clearinghaus stellt durch die intensive Überprüfung der Handelsteilnehmer sicher, dass diese stets ihren finanziellen und physischen Verpflichtungen nachkommen können und rechtliche Auflagen zur Bekämpfung von Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung erfüllen. Die Abwicklung über einen solchen „zentralen Kontrahenten“ reduziert die Ausfallrisiken für langfristig abgeschlossene Geschäfte für alle Marktteilnehmer – auch im Stressfall – und liefert so einen signifikanten Mehrwert gegenüber rein bilateralem Handel.

Die wichtigsten Aufgaben der Börse und ihrer Marktsteuerung sind neben dem eigentlichen Betrieb des Marktplatzes die Überwachung und Absicherung des Handels gegen Manipulationen und regelwidriges Verhalten sowie die Dokumentation des Marktgeschehens durch die Feststellung von Schlusskursen. Diese amtlichen Preise dienen als Preisreferenz auch für außerbörslich abgeschlossene Verträge oder die Marktprämie im Erneuerbare-Energien-Gesetz. In illiquiden oder neuen Märkten kann eine solche Preisfeststellung meist nur durch Befragung von Handelsteilnehmern geschehen. Die zentrale Instanz Börse steht hier für Neutralität und Qualität der Preisquellen.

Die Blockchain hat als IT-Technologie ihre legitime Anwendung im Post-Trade-Bereich oder der Organisation von kleineren dezentralen, regionalen Märkten für Energie. Börsliche Handelsplätze wie die der EEX-Gruppe erfüllen im Stromgroßhandel wichtige Aufgaben, die nicht ohne Weiteres dezentralisierbar oder eliminierbar sind – auch nicht durch Blockchain.

Dr. Maximilian Rinck ist Experte für Strommarkt-Design bei der European Energy Exchange (EEX)