Was bedeutet eigentlich "Redispatch"?

Die Energiewende bringt viele neue Schlagworte mit sich. In unserer neuen Rubrik werden die wichtigsten davon aufgegriffen. Den Auftakt macht der Fachbegriff "Redispatch". Was ist damit gemeint – und was hat das mit unserer Stromversorgung und dem Netzausbau zu tun?

Illustration: Erneuerbare Energien, Stromnetz und Verbraucher unter einer Lupe© BMWi

Wie kommt der Strom eigentlich in die Steckdose? Worüber Verbraucher kaum nachdenken, ist für die Akteure hinter den Kulissen eine große Synchronisationsaufgabe: Sie bringen Angebot und Nachfrage in Einklang und stellen sicher, dass elektrische Leistung zur Verfügung steht, wo und wann sie gebraucht wird. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien wird diese Herausforderung noch wachsen. Drehen sich die Windräder vor Helgoland auf Hochtouren, muss der eingespeiste Strom erst einmal zum energieintensiven Industriebetrieb in Bayern gelangen, der gerade eine Extraschicht fährt. Die Stromnetze stoßen dabei zunehmend an ihre Grenzen.

Damit es nicht zum Blackout kommt, wird das Netz unter anderem in den Leitwarten der Netzbetreiber genau überwacht – und im Zweifel wird eingegriffen. Zu viel Einspeisung in Leitung eins? Steht keine Alternativstrecke zur Verfügung? Dann ordnen die Netzbetreiber einen Redispatch an. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, wenn zu wenig Leistung im Netz vorhanden ist.

"Dispatch": Welches Kraftwerk speist wann wie viel Leistung ein?

Redispatch bedeutet wörtlich eine Änderung des sogenannten Dispatches, der den "Fahrplan" der Kraftwerke bezeichnet: Die Kraftwerksbetreiber melden den Übertragungsnetzbetreibern verbindlich an, wie sie am Folgetag ihre Kapazitäten einplanen. Welches Kraftwerk wird wann wie viel Leistung ins Netz einspeisen? Ergibt die Auswertung dieses Dispatch, dass Engpässe drohen, oder kommt es tatsächlich kurzfristig zu Überlastungen, fordern die Übertragungsnetzbetreiber von den Kraftwerksbetreibern die Änderung ihrer Fahrpläne, also den Redispatch.

Ziel ist es dabei, die Netz- und Systemstabilität – und so die hohe Versorgungssicherheit der Verbraucher - zu erhalten sowie Netzunterbrechungen abzuwenden: Denn durch zu viel eingespeiste Kraftwerksleistung geraten die Leitungen an die Grenzen ihrer technischen Leistungsfähigkeit. Wird diese Grenze überschritten, schalten sich einzelne Leitungsabschnitte vorsorglich automatisch ab, damit keine teuren Schäden entstehen. Dadurch steigt jedoch die Belastung auf den alternativen "Ausweichstrecken", die sich schließlich ebenfalls abschalten. Bildlich ist das wie bei einem großen Verkehrsstau: Nutzen alle die Umleitung, geht auch da am Ende nichts mehr. Langfristig werden neue Umgehungsstraßen gebraucht.

Redispatch-Maßnahmen sind zuletzt immer wichtiger geworden

Bei den Übertragungsnetzen ist das in Deutschland ähnlich: Weil mancherorts leistungsstarke Leitungen fehlen, hat die Notwendigkeit solcher Redispatch-Maßnahmen in den letzten Jahren zugenommen. Nach vorläufigen Berechnungen der Bundesnetzagentur hat sich die Dauer der Redispatch-Eingriffe im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr erneut leicht erhöht; mittlerweile wird beinahe täglich in die Fahrpläne der Kraftwerke eingegriffen. Insgesamt meldeten die Übertragungsnetzbetreiber für 2014 (vorläufig) Maßnahmen mit einer Gesamtdauer von 8.116 Stunden – 2013 waren es noch 7.965, 2011 nur 5.030 und im Jahr 2010 sogar nur 1.588 Stunden, weniger als ein Fünftel also. Insgesamt betrafen diese Eingriffe 2014 voraussichtlich eine Leistung von 5.131 Gigawattstunden; 2013 waren es noch 4.604 Gigawattstunden, was damals rund einem Prozent der Gesamterzeugung (ohne die EEG-vergütete Einspeisung aus erneuerbaren Energien) oder dem Jahresverbrauch von rund 1,3 Millionen Durchschnittshaushalten entsprach.

Am stärksten belastet sind die großen Übertragungsleitungen im Winterhalbjahr: In den kalten und stürmischen Monaten speisen die Windräder im Norden besonders viel Strom ein, in den industriellen Zentren im Süden wird – vor allem wenn es kalt ist und früh dunkel wird – noch mehr Energie nachgefragt. Damit sich die Leitungen wegen dieses "Ansturms" nicht abschalten, muss beim Redispatch zweierlei passieren. Die Anlagen im Norden müssen zurückgefahren, die im Süden hochgefahren werden. Nur so ist derzeit ein sicherer Betrieb des Netzes möglich. Die Daten der Übertragungsnetzbetreiber spiegeln das wider: Während im Gebiet des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz (die Windenergieregionen in Nord- und Ostdeutschland) 2013 die Einspeisung häufig abgeregelt wurde, gingen die Redispatch-Maßnahmen im Süden (Netzbetreiber Amprion und Transnet-BW) in die andere Richtung. Hier wurde häufiger das Hochfahren von Kraftwerken angeordnet.

In der Konsequenz heißt das: Stromerzeuger im Norden können nicht einspeisen. Und im Süden muss Kraftwerksleistung vorgehalten werden, die bei einem Engpass kurzfristig hochgefahren werden kann. Seit dem Winter 2011/2012 mussten die Übertragungsnetzbetreiber hier immer wieder auf ausländische Reserven zurückgreifen. Und in Zukunft könnte sich die Situation weiter verschärfen: Im Norden gehen immer mehr Windparks an Land und auf hoher See ans Netz, im Süden werden Schritt für Schritt die Kernkraftwerke abgeschaltet. Damit es dann nicht zum Stau kommt, sieht der vom Bundestag bestätigte Bundesbedarfsplan den Ausbau der wichtigen Nord-Süd-Strecken vor.

Über "direkt erklärt"

Die Energiewende verändert nicht nur unsere Energieversorgung, sie bringt auch viele neue Schlagworte mit sich. Ob Kapazitätsmarkt, HGÜ-Leitungen oder Systemstabilität – Fachbegriffe, die früher nur für Insider relevant waren, sind in der Diskussion mittlerweile alltäglich. In der neuen Rubrik "direkt erklärt" möchten wir diese Begriffe unter die Lupe nehmen: Was ist damit eigentlich gemeint? Und was hat das mit der Energiewende zu tun? Den Auftakt zur Serie, die in loser Reihenfolge fortgesetzt wird, macht der Begriff "Redispatch".