Meilensteine unter dem Meer

Erstmals sind die Offshore-Netzanbindungen von zwei Staaten in der Ostsee zu einem gemeinsamen Netz verbunden worden. Es kann Windstrom vom Meer an Land transportieren und zusätzlich für den grenzübergreifenden Stromhandel genutzt werden.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit Seekabel© 50Hertz / Manfred Vogel

Der Hubschrauber nimmt Kurs auf die offene See. Inmitten der Meereswellen ist die Umspannplattform des Windparks Kriegers Flak zunächst nur ein winziger Punkt, aber ein bedeutsamer. Denn hier draußen in der Ostsee wächst Europa weiter zusammen. Verborgen unter dem Meer treffen die Seekabel der dänischen und deutschen Stromnetze aufeinander. In einem innovativen Projekt der beiden Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission (Deutschland) und Energinet (Dänemark) sind sie jetzt miteinander verbunden worden. Entstanden ist der weltweit erste hybride Offshore Interkonnektor (die weltweit erste Anbindung von Offshore-Windparks an mehrere Länder). Das Combined Grid Solution (kurz: CGS) genannte Seekabel koppelt auf zwei Mal 25 Kilometern nicht nur zwei Umspannplattformen in der Ostsee miteinander, sondern auch die bestehenden Landanbindungen der Offshore-Windparks. So ermöglicht es den Energieaustausch zwischen den Netzen Dänemarks und Deutschlands. Bisher gibt es weltweit kein vergleichbares Projekt. Die CGS gilt deshalb als Vorbild für zukünftige Stromnetze im Offshore-Bereich. Schon bald sollen weitere folgen.

Aus zwei mach eins, aber wie?

Herzstück des neuen Systems ist die Erweiterung einer der Kriegers Flak Plattformen, wo das dänische und deutsche Stromnetz zusammenkommen. Der dänische Offshore-Windpark Kriegers Flak ist zusammen mit den bereits bestehenden deutschen Windparks Baltic 1 und Baltic 2 Teil des Projekts. Er wird nach seiner geplanten Inbetriebnahme 2021 rund 600.000 Haushalte in der dänischen Region Seeland mit Strom versorgen und mit einer Leistung von 600 Megawatt (MW) der größte Windpark Dänemarks sein. Weht über der Ostsee kein oder nur leichter Wind - wird also wenig Wind auf See erzeugt, der abtransportiert werden muss - dienen Plattform und Seekabel vor allem dem Stromaustausch zwischen den beiden Ländern. So können die Kabel bis zu 100 Prozent ausgelastet werden. Das dämpft auch die Preise für die Verbraucher.

Was einfach klingt, war in der Praxis eine knifflige Sache. Denn das dänische und deutsche Übertragungsnetz funktionieren nicht synchron. Für den Austausch des Stroms musste ein spezieller sogenannter Back to Back Konverter gebaut und installiert werden. Er steht heute im Umspannwerk Bentwisch bei Rostock. Auf der dänischen Seite führt die Verbindung zum Umspannwerk in Bjæverskov. Der Back to Back Konverter transformiert den aus beiden Richtungen ankommenden Wechselstrom in Gleichstrom und anschließend sofort wieder in Wechselstrom, angepasst an das jeweilige Stromsystem. So kann die Energie zwischen beiden Ländern ungehindert fließen und steht dem europäischen Strommarkt zur Verfügung. Die Combined Grid Solution dient also nicht nur der Einspeisung erneuerbarer Energien aus der Ostsee, sondern erhöht auch die Systemstabilität und damit die Versorgungssicherheit innerhalb der deutschen und dänischen Stromnetze. Die Kosten für das deutsch-dänische Gemeinschaftsprojekt mit EU-Beteiligung liegen bei rund 300 Millionen Euro.

Ein Superhirn namens "MIO"

Um die komplexen Prozesse für den Stromhandel und den Abtransport der Windenergieleistung zu steuern, braucht der Konverter ein elektronisches "Gehirn". Dafür wurde ein neuartiger Master Controller for Interconnector Operation (kurz: MIO) entwickelt. MIO sorgt mithilfe innovativer Systemführungsstrategien in Echtzeit für die richtige Spannung, eine effiziente Auslastung des Seekabels und für den Schutz der gesamten Technik vor Überlastung. Dafür kann MIO sowohl auf den Doppel-Konverter in Bentwisch als auch auf die deutschen Windparks Baltic 1 und Baltic 2 zurückgreifen und zukünftig auch auf den dänischen Windpark Kriegers Flak. So kann mehr erneuerbare Energie in das Gesamtsystem integriert und den europäischen Märkten zur Verfügung gestellt werden.

Bei aller technischer Raffinesse waren es Dänen und Deutsche gemeinsam, die dieses Projekt in die Tat umgesetzt haben. Sie beweisen damit eine gute europäische Nachbarschaft und haben eine klare Perspektive: eine Stromversorgung, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt wird. Die Combined Grid Solution bringt beide Partner diesem Ziel ein großes Stück näher. Warum das so wichtig ist?

Stromnetze wie an Land zukünftig auch auf See?

Die Ostsee wird zukünftig von großer Bedeutung für die Entwicklung von Offshore-Wind in Europa sein. Schätzungen von WindEurope zufolge werden von insgesamt bis zu 450 Gigawatt Kapazität an Offshore-Wind, die bis 2050 in Europa installiert wird, etwa 85 Gigawatt auf die Ostsee entfallen. Langfristig könnte in Nord- und Ostsee mit den neuen Lösungen ein Stromnetz entstehen, wie es auch an Land existiert. Die EU-Ostseeanrainer wollen den Ausbau der Windenergie auf See jetzt voranbringen und dafür enger zusammenarbeiten. Ende September 2020 unterzeichneten sie dafür eine gemeinsame Erklärung, die "Baltic Sea Offshore Wind Joint Declaration of Intent". Mit dieser Initiative soll die Zusammenarbeit durch eine gemeinsame Arbeitsgruppe gestärkt werden.

Offshore Windenergie ist auch ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die EU benötigt 360 Gigawatt erneuerbarer Offshore-Energie, um klimaneutral zu werden. So steht es in ihrer Offshore Renewable Energy Strategy (EU-Offshore-Strategie), die am 19. November 2020 veröffentlicht werden soll. Gemeinsam mit seinen Nachbarländern möchte Deutschland zukünftig weitere grenzüberschreitend Offshore-Projekte voranbringen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier lobte die Combined Grid Solution in seiner Rede zur Eröffnung als "europäisches Leuchtturmprojekt für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich Windenergie auf See, die künftig eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einem klimaneutralen Europa spielen kann". Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft lege Deutschland deshalb auch einen Schwerpunkt auf einen unterstützenden EU-Rahmen, der beides im Blick hat: den effektiven Transport des Windstroms und den zusätzlichen grenzüberschreitenden Handel auf diesen Leitungen, betonte Altmaier.

So könnte es weiter gehen mit hybriden Interkonnektoren

Auch Catherina Sikow-Magny, Director Internal Energy Market, European Commission sagt Hybriden Offshore-Interkonnektoren eine große Zukunft voraus. "Um dies zu unterstützen, werden wir die notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen dafür schaffen", versprach sie in einem Statement zur CGS-Eröffnung. Der Hintergrund: Die derzeitigen EU-Strommarktregeln verpflichten dazu, 70 Prozent der Leitung für den Stromhandel freizugeben. Das würde bei einem hybriden Projekt wie der CGS zu Einschränkungen beim Windstromtransport führen. Deutschland und Dänemark haben deshalb eine Ausnahmeregelung von der EU-Kommission erhalten.

Bald wird der hybride Interkonnektor zwischen Deutschland und Dänemark nicht mehr der einzige in der Ostsee sein. Weitere Projekte, die bis 2030 entstehen sollen, sind bereits in Planung: die Danish Energy Hubs (von Dänemark aus in Nord- und Ostsee), North Sea Wind Power Hub (zwischen den Niederlanden, Deutschland und Dänemark), WindConnector (zwischen den Niederlanden und Großbritannien) und Nautilus zwischen (Belgien und Großbritannien).