Wie funktioniert eigentlich der Strommarkt?

Einen Stromliefervertrag abschließen und schon kommt der Strom aus der Steckdose, um mehr müssen sich Verbraucher meist nicht kümmern. Doch was passiert eigentlich auf dem Markt, bevor der Strom zum Verbraucher gelangt? Hier entlang für mehr Informationen.

Illustration: Erneuerbare Energien unter einer Lupe© BMWi

Darum geht's: Schon heute decken erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windenergie rund 40 Prozent unserer Stromversorgung, bis 2050 soll ihr Anteil bei 80 Prozent liegen. Doch je mehr Strom aus wetterabhängigen Quellen stammt, desto mehr schwankt seine Einspeisung ins Stromnetz. Unser moderner Strommarkt sorgt für Versorgungssicherheit.

Für einen Händler auf dem Wochenmarkt ist es am besten, wenn sich Angebot und Nachfrage die Waage halten - wenn er also jeden Kunden bedienen konnte und dennoch keine Ware übrigbleibt. Gleichzeitig muss der Händler flexibel reagieren können und Reserven haben, wenn plötzlich mehr Kartoffeln oder Äpfel nachgefragt werden als sonst. Ähnlich aber viel komplexer funktioniert unser Strommarkt. Er bringt einerseits Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht und muss andererseits auch bei Nachfragespitzen ausreichende Kapazitäten und damit eine sichere Stromversorgung garantieren. Dafür haben Bundestag und Bundesrat im Juni und Juli 2016 die Gesetze zur Weiterentwicklung des Strommarktes und zur Digitalisierung der Energiewende beschlossen. Sie schaffen einen Wettbewerb von flexibler Erzeugung, flexibler Nachfrage und Speichern und machen innovative Geschäftsmodelle im Strommarkt möglich. Private und gewerbliche Kunden können dadurch heute aus einer großen Anzahl von Anbietern wählen. Das sorgt für Effizienz und kostengünstige Angebote. EU-weit gehört Deutschland mit dieser Liberalisierung des Strommarktes zu den Vorreitern. Hier einige der wichtigsten Aspekte kurz erklärt:

Zentrales Steuerelement des Strommarktes ist der Preis

Zentrales Steuerelement des Strommarktes ist - wie auf dem Wochenmarkt - der Preis. Über die Qualität des Stroms müssen sich Verkäufer und Kunden anders als auf dem Wochenmarkt keine Gedanken machen, sie ist immer gleich. Stimmt also der Preis, kommen Anbieter und Käufer ins Geschäft. Doch der Strompreis kann sich innerhalb eines Tages immer wieder ändern. Ist das Angebot groß aber die Nachfrage klein, sinkt der Preis. Umgekehrt steigen die Preise, wenn viel Strom nachgefragt aber wenig angeboten wird. Liefern die Windräder an einem stürmischen Tag viel Windenergie oder fällt zum Beispiel ein großes Kraftwerk aus, kann sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage binnen weniger Minuten verändern. Um den Stromhandelsgroßmarkt so zu organisieren, dass die Stromversorgung auch mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien stets sicher ist, besteht der Strommarkt gleich aus mehreren Teilmärkten mit unterschiedlichen Vorlaufzeiten vom Kauf bis zur Lieferung. Diese verschiedenen Varianten des Stromhandels und die für sie jeweils gültigen "Spielregeln" nennt man Strommarktdesign.

Die Verbraucher sind vor allem mit ihrem Stromliefervertrag für den privaten Haushalt vertraut. Diese meist langfristigen und direkten Stromgeschäfte werden außerhalb der Börse geschlossen, sozusagen direkt über den Ladentisch. In der Fachsprache heißen solche Geschäfte deshalb auch "Over-the-counter (OTC)".

Teilmärkte mit unterschiedlichen Preissignalen

Der Handel an der Strombörse findet dagegen auf verschiedenen Wegen statt. Gehandelt wird mit Energiemengen aus unterschiedlichen Quellen und zukünftig immer mehr aus erneuerbaren Energien. Erzeuger verkaufen ihre Energie im Voraus an Unternehmen, die sie entweder selbst verbrauchen oder an ihre Kunden weiterleiten. Ziel ist es, jederzeit die Versorgung zu sichern.

Viel Vorlauf gibt es auf dem Terminmarkt. Bis zu sechs Jahre im Voraus können Stromlieferungen und die zugehörigen Preise vereinbart werden. Ist ein Termingeschäft einmal abgeschlossen, muss der Käufer keine steigenden Preise fürchten, er zahlt für diese Sicherheit aber einen Preisaufschlag. Die Erzeuger sichern mit solchen langfristigen Verträgen ihre Einnahmen und können zum Beispiel Investitionen in zusätzliche Erzeugungskapazitäten besser planen und finanzieren. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern wird der Terminhandel über die Strombörse European Energy Exchange (EEX) mit Sitz in Leipzig abgewickelt.

Je näher Erzeugung und Verbrauch beieinander liegen, desto sicherer lassen sich die tatsächlichen Verbrauchs- und Erzeugungsmengen voraussagen. Der kurzfristige Handel findet im sogenannten Spotmarkt statt. Er ist für den Ausgleich von Verbrauch und Erzeugung besonders wichtig. Der Spotmarkt teilt sich in zwei Märkte mit unterschiedlichen Vorlaufzeiten. Auf dem "Day-Ahead-Markt" werden Stromlieferungen für den nächsten Tag gehandelt. Bis 12 Uhr mittags müssen die Kauf- und Verkaufsangebote gemeldet sein. Anschließend ermittelt die Börse den Großhandelspreis für jede Stunde des nächsten Tages und erteilt den Zuschlag für die zum Zuge kommenden Gebote. Der Großhandelspreis ist eine wichtige Kennzahl für den Strommarkt, ähnlich wie der Tagesschlusskurs an der Börse. Der Day-Ahead-Großhandelspreis in Deutschland ist über alle teilnehmenden Börsen gleich, weil sie ihre Orderbücher im Rahmen der europäischen Marktkopplung miteinander verbinden. So weisen die in Deutschland aktiven Spotmarktbörsen European Power Exchange (EPEX Spot), Nordpool und Energy Exchange Austria (EXAA) stets denselben Preis aus. Dargestellt werden die Day-Ahead-Großhandelspreise der EEX und viele weitere Strommarktdaten auch auf www.smard.de.

Noch spontaner geht es auf dem "Intraday-Markt" zu. Hier können Strommengen bis 30 Minuten vor der Lieferung gehandelt werden. Findet das Geschäft in der gleichen Regelzone statt, dürfen es sogar nur fünf Minuten sein. Seit 2012 ist Deutschland in vier solcher Regelzonen unterteilt. Jeder der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber, TenneT, 50Hertz, Amprion und TransnetBW, betreibt eine eigene Regelzone.

Ausgleichsenergiekosten synchronisieren Verbrauch und Erzeugung

Durch die kurzfristigen Geschäfte auf dem Spotmarkt sollen Überschüsse und Lieferengpässe vermieden werden. Denn eine reibungslose Versorgung mit Strom funktioniert nur, wenn immer gleichzeitig genauso viel Strom eingespeist wie entnommen wird. Um zu verstehen wie der Spotmarkt hilft, ein Gleichgewicht zwischen physikalischer Ein- und Ausspeisung im Stromsystem herzustellen, lohnt ein Blick auf das Bilanzkreissystem. Ein Bilanzkreis funktioniert wie ein virtuelles Energiemengenkonto. Wie in einer guten Buchhaltung werden hier Stromentnahmen durch die Verbraucher, Stromeinspeisungen durch Kraftwerke und Handelsgeschäfte mit anderen aufgerechnet. Jeder Stromanschluss in Deutschland ist einem Bilanzkreis zugeordnet – auch jeder private Haushalt. Jeder der etwa 900 Bilanzkreise in Deutschland wird von einem Bilanzkreisverantwortlichen bewirtschaftet. Das können zum Beispiel Energieunternehmen sein, die Endkunden beliefern oder ein Kraftwerksbetreiber, der erzeugte Energiemengen vermarktet. Das Besondere der Bilanzkreisbuchhaltung: Auf dem Energiemengenkonto darf kein Betrag verbleiben. Die Aufgabe des Bilanzkreisverantwortlichen ist es, in jeder Viertelstunde rund um die Uhr einen ausgeglichenen Bilanzkreis herzustellen. Das erreicht er, in dem er durch Kraftwerks- oder Anlageneinsatz oder durch Handelsgeschäfte am Strommarkt stets genauso so viel Strom in das Netz einspeist, wie er entnimmt.

Auch bei guter Planung kann es aber vorkommen, dass sich der tatsächliche Verbrauch in einem Bilanzkreis von der Erzeugung unterscheidet. Oder die Einspeisung durch erneuerbare Energien ist anders als prognostiziert – zum Beispiel, weil eine Windfront früher als erwartet kommt oder Wolken am Himmel sind. Dann gleichen die Übertragungsnetzbetreiber den Unterschied zwischen Ein- und Ausspeisung im Stromsystem durch Regelenergie aus. Regelenergie wird von Kraftwerken oder Verbrauchern bereitgestellt, die sich entschieden haben, nicht am normalen Strommarkt teilzunehmen, sondern sich für die Übertragungsnetzbetreiber auf Abruf bereit zu halten. Dafür erhalten sie eine Vergütung, die durch wettbewerbliche Ausschreibungen festgelegt wird.

Die Kosten für den Einsatz von Regelenergie wird denjenigen Bilanzkreisen in Rechnung gestellt, die zum Ungleichgewicht beigetragen haben. Sie zahlen den sogenannten Ausgleichsenergiepreis für jede Kilowattstunde, mit der sie überspeist oder unterspeist waren. Dieser Ausgleichsenergiepreis wirkt wie eine Strafe, denn der Strombezug zum Ausgleichsenergiepreis ist für Bilanzkreisverantwortliche immer teurer als der Strombezug am Strommarkt. Deshalb sind Ausgleichsenergiekosten der zentrale Anreiz dafür, den Bilanzkreis bereits am Strommarkt auszugleichen. Hier schließt sich der Kreis zum kurzfristigen Stromhandel. Bilanzkreisverantwortliche haben einen großen Anreiz, durch Handelsgeschäfte im Day-ahead- und Intraday-Markt ihre Bilanzkreise auszugleichen. Das Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem und der kurzfristige Handel bis kurz vor Lieferzeitpunkt sind die zentralen Instrumente für die Synchronisierung des Strommarktes.

Neben den verschiedenen Teilmärkten und dem Ausgleichsenergie- und Bilanzsystem sind noch viele andere Aspekte wichtig, um den Strommarkt zu verstehen. Welche Rolle der grenzüberschreitende Stromhandel spielt und wie er funktioniert, was es mit negativen Großhandelspreisen auf sich hat und wieso es wichtig ist, dass die günstigste Stromerzeugung immer Vorrang hat, ist ausführlich zum Beispiel auf www.bmwi.de oder auf dem Strommarktdaten-Portal "Smard" der Bundesnetzagentur nachzulesen.