Wie die Energiewende in der Industrie gelingen kann

Die verarbeitende Industrie in Deutschland beschäftigt sieben Millionen Menschen, ist aber auch für ein Fünftel der Treibhausgasemissionen im Land verantwortlich. Bis 2050 soll sie treibhausgasneutral produzieren. Ein Forschungsprojekt weist den Weg.

Hecke in Fabrikform geschnitten.© AdobeStock / malp

Deutschland hat sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, seinen Teil dazu beizutragen, um die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Bis 2050 will die Bundesrepublik dafür klimaneutral werden, so steht es auch im Klimaschutzprogramm vom Herbst 2019. Ein ambitioniertes Ziel und ein gewaltiger Aufruf zum Wandel, nicht nur für die Industrie. Denn der Weg zur Klimaneutralität wird unsere Art zu leben grundlegend verändern. Wir werden zunehmend statt mit Benzin- und Diesel-Fahrzeugen mit Elektroautos unterwegs sein. Wir werden neu über die Wärmedämmung unserer Häuser und klimaneutrales Heizen nachdenken - und auch darüber, welchen Strom wir beziehen und wie die Industrie in Deutschland künftig klimaverträglicher produzieren soll. Industrielle Produktionsverfahren, die über Jahrzehnte eingespielt und optimiert wurden, müssen dafür manchmal grundlegend geändert werden. Zwar hat die deutsche Industrie ihren Ausstoß an Treibhausgasen von 1990 bis 2018 um gut ein Drittel gesenkt, ohne an Stärke auf dem Weltmarkt zu verlieren, für die angestrebte Klimaneutralität braucht die Industrie aber noch einmal ganz neue Lösungen und Wege.

Forschungsprojekt untersucht Energiewende in der Industrie

Deshalb hat das BMWi das Forschungsprojekt "Energiewende in der Industrie: Potentiale, Kosten und Wechselwirkungen mit dem Energiesektor" aufgelegt. Es untersucht seit 2018 und noch bis Anfang 2021, wie die Industrie zu einer weitgehend treibhausneutralen Wirtschaftsweise beitragen und gleichzeitig Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb sichern kann. Wichtigstes Fazit bisher: Technisch scheint der Wandel bis 2050 möglich. Die größte Herausforderung auf dem Weg dahin ist der passende Rahmen für einen Technologiewechsel, der keine Wettbewerbsnachteile mit sich bringt. Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist klar: "Geschäftsmodelle werden in Zukunft nur noch dann erfolgreich sein, wenn sie Energiewende und Klimaschutz mitdenken."

Acht besonders energieintensive Branchen im Fokus

Stellvertretend für den Industriesektor insgesamt werden in dem Forschungsprojekt deshalb acht besonders energieintensive Branchen untersucht. Viele CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Metallerzeugung und -bearbeitung (etwa Stahl), der Herstellung von Nichteisenmetallen (zum Beispiel Aluminium, Kupfer, Zink), der Grundstoffchemie, der Glas-, Zement-, Kalk- und Keramikindustrie sowie der Papier- und Nahrungsmittelindustrie. Auch Querschnittstechnologien, wie sie unter anderem in der Automobilindustrie eingesetzt werden, stehen im Fokus der Untersuchungen. Welche Treibhausgasemissionen die einzelnen Branchen verursachen und wie gut sie auf den Wandel zur treibhausgasneutralen Industrie vorbereitet sind, steht ausführlich in den jetzt veröffentlichten Branchensteckbriefen zum Forschungsprojekt.

Mit diesen Technologien läuft die Produktion treibhausgasneutral

Für jede der acht Branchen soll das Forschungsprojekt neue Technologien oder Produktionsverfahren finden, die ohne fossile Rohstoffe auskommen und Emissionen sparen oder ganz vermeiden. Eine erste Übersicht möglicher Technologien, die der Industrie zur treibhausgasneutralen Produktion verhelfen könnten, zeigt der ebenfalls vor kurzem veröffentlichte Abschlussbericht "Dekarbonisierungsmaßnahmen in den Fokus-Branchen". Dazu zählt beispielsweise der Einsatz elektrischer Schmelzwannen in der Glasindustrie. Bisher wurden Schmelzwannen genutzt, die auf Basis von Erdgas liefen. Mit CO2-freiem Strom betrieben, sparen die elektrischen Schmelzwannen dagegen deutlich Emissionen ein. Ein weiteres Beispiel ist die Direktreduktion mit Wasserstoff in der Stahlbranche. Während der Stahlherstellung wird dabei Kohlenstoff durch Wasserstoff ersetzt. Er reagiert mit dem Sauerstoff aus Eisenerz. Nutzt man dazu Kohlenstoff, entsteht eine Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff: das klimaschädliche Kohlendioxid. Wird der eingesetzte Wasserstoff CO2-neutral hergestellt, werden auch hier in großem Umfang Treibhausgase eingespart.

Für den Übergang zu einer annähernd treibhausgasneutralen Wirtschaft müssen die Emissionen des Industriesektors deutlich reduziert werden. Schon der Abschlussbericht des "Arbeitspaketes 1" zum Forschungsprojekt nennt viele mögliche Entwicklungen für den Industriesektor. Sie beruhen auf verschiedenen externen Studien.

So entstehen Treibhausgasemissionen in der Industrie

Treibhausgasemissionen in der Industrie entstehen auf zwei Wegen: Ein Grund ist der oft hohe Energieeinsatz in der Produktion. Wenn dieser auf Basis fossiler Brennstoffe (Öl, Kohle und Gas) gedeckt wird, kommt es zu Emissionen. Ein anderer Grund sind die sogenannten Prozessemissionen in der Produktion. Sie entstehen, wenn die Industrie fossile Rohstoffe für Produktionsprozesse nutzt. Beispielsweise werden in der Zement- und Kalkindustrie Rohstoffe wie Kalkstein bei hohen Temperaturen verbrannt und in einzelne Bestandteile zerlegt ("Dissoziation"). Dabei gibt der Kalkstein die in ihm gebundenen CO2-Moleküle ab. Treibhausgasemissionen fallen also in diesem Fall "automatisch" beim Produktionsverfahren an, selbst wenn die erforderliche Wärme klimaneutral erzeugt werden würde. Die Prozessemissionen sind meist die noch größere Hürde, da für ihre Vermeidung bisher bewährte Produktionsverfahren grundlegend überdacht werden müssen.

Treibhausgasneutrale Produktion scheint bis 2050 möglich

Dass eine treibhausgasneutrale Produktion in der Industrie bis 2050 möglich scheint, beschreiben auch weitere aktuelle Studien. Darunter die vom Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) veröffentlichten "Klimapfade für Deutschland", die Studie "Roadmap Chemie 2050" des Verbandes der Chemischen Industrie e.V. (VCI) und die Agora-Studie "Klimaneutrale Industrie". Zuletzt hat auch die Europäische Kommission mit ihrem "European Green Deal" einen wichtigen Impuls gesetzt. Dennoch sind die Herausforderungen groß, denn fast alle der Emissionen vermeidenden Technologien sind zum Teil mit hohen Zusatzkosten verbunden. Hier geht es neben der Wettbewerbsfähigkeit auch darum, wie sich der Preis für CO2 entwickelt und welche Technologien dadurch in den Fokus der Unternehmen rücken. Solchen Fragen wird das Forschungsprojekt weiter auf den Grund gehen. Ausführlich können die bisherigen Ergebnisse auch im Artikel "Wie wird die Produktion klimaneutral?" (erschienen in "Schlaglichter der Wirtschaftspolitik", März 2020) und auf der Themenseite des BMWi nachgelesen werden. Auf der Themenseite sind auch die Kontaktdaten der Projektverantwortlichen für den direkten Dialog zu finden. Sie nehmen zusätzliche Impulse gerne entgegen.