Zeitreise in die Energiewelt der Zukunft

Das erfolgreiche Forschungsprogramm des BMWi "Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende" (SINTEG) ist in die 2. Halbzeit gegangen. Fünf Modellregionen testen deutschlandweit innovative Lösungen für die Energiewende. Eine Zwischenbilanz.

Zwei Hände lassen eine leuchtende Glühbirne in einer imaginären Energiekugel schweben© AdobeStock/sdecoret

Zeitreisen, wer träumt nicht davon. Das Forschungsprogramm SINTEG gibt uns schon heute die Möglichkeit, das Energiesystem der Zukunft zu erleben. Im Jahr 2017 gestartet, ist das Programm Anfang 2019 in die zweite Halbzeit gegangen und inzwischen hat sich beim Blick in die Schaufenster das Sortiment erweitert. Nachdem in der ersten Hälfte der Projektlaufzeit Lösungen erarbeitet wurden, stehen nun konkrete Praxistests an.

Alles dreht sich um die digitale Vernetzung von Energie. In Sachen Stromversorgung kann die Digitalisierung gleich mehrere Herausforderungen lösen, die mit der Energiewende und dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien einhergehen. Beantwortet werden sollen Fragen wie: Wie können die Netze stabil bleiben, wenn Energie gleichzeitig immer unsteter eingespeist wird? Wie können Energieerzeugung, -speicherung und -verbrauch sowie Netze intelligent zusammenwirken? Wie können Industrie und Privatverbraucher den Strom aus erneuerbaren Quellen unabhängig vom Zeitpunkt seiner Erzeugung nutzen – etwa in Heizanlagen oder Elektroautos? Im Rahmen von SINTEG werden die neu entwickelten Lösungen dazu erprobt. Übertragbare "Blaupausen" für die spätere Umsetzung in anderen Regionen sollen entworfen werden.

C/sells: kommunizierende Zellen

Das Schaufenster C/sells setzt auf ein Energiesystem, in dem sich kleinere Energie-"Zellen" – zum Beispiel eine Region, ein Stadtteil oder einzelne Häuser – weitestgehend selbst versorgen. Die Zellen tauschen untereinander lediglich überschüssige oder fehlende Energie aus. Sie sind digital miteinander vernetzt, so dass überschüssige Energie automatisch immer dorthin gelangt, wo sie gerade gebraucht wird. Sonst wird sie gespeichert. Dafür entwickelt C/sells ein digitales Informationssystem, mit dessen Hilfe Fachleute neue Komponenten im intelligenten Stromnetz testen - bevor diese in Feldtests verbaut werden. Außerdem kümmern sich Expertenteams darum, einen automatisierten Datenaustausch zwischen den verschiedenen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern aufzubauen. Im Rahmen von C/sells wurde das Netz der Stadtwerke Schwäbisch Hall in den Datenaustausch-Prozess integriert. So überblicken Fachleute erstmals die konkrete Einspeisesituation vor Ort und können schwierige Netzsituationen frühzeitig erkennen. Alle Akteure sind in einen regionalen Handel mit Energie-Dienstleistungen eingebunden. C/sells umfasst die Fläche der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. 59 Projektpartner sind beteiligt. C/sells wird mit rund 44 Millionen Euro gefördert.

Designetz: intelligente Verteilnetze

Designetz umfasst die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Im Mittelpunkt des Projekts stehen digitale und intelligente Verteilnetze, die sich vor dem Hintergrund zunehmend dezentraler Erzeugung immer mehr von einer Einbahnstraße zu einer Straße mit Gegenverkehr entwickeln. Durch die drei Bundesländer der Modellregion führt die "Route der Energie". An als Informationssäulen gestalteten "Haltestellen" in der Nähe der Projekte wird Wissen über das Projekt vermittelt. Beispielsweise zu einem an das Mittelspannungsnetz angeschlossenen Lithium-Ionen-Speicher südlich von Koblenz, der überschüssigen Strom als Zwischenspeicher auffängt.

Der nächste wichtige Schritt im Rahmen von Designetz ist der Aufbau eines sogenannten "System-Cockpits". Mit seiner Hilfe simulieren und untersuchen Fachleute die Herausforderungen und Belastungen für die Modellregion im Jahr 2035. An dem Projekt beteiligen sich 46 Projektpartner aus Energiewirtschaft, Industrie, Kommunen, Forschung und Entwicklung. Es wird mit rund 30 Millionen Euro gefördert.

enera: regionaler Marktplatz

In der Modellregion enera im Nordwesten Niedersachsens werden große Mengen Windenergie erzeugt, für deren Transport die Netzkapazität nicht immer ausreicht. Die Projektpartner konzentrieren sich auf die Frage, wie das Stromsystem flexibler werden kann, um unter anderem die Wind-Ressourcen in der Region optimal zu nutzen. Auch hier hat sich viel getan: Erzeugungsanlagen, Energiespeicher sowie Haushalte, Gewerbe- und Industriebetriebe werden zu einem regionalen, virtuellen Kraftwerk vernetzt. Die erzeugte Energie wird über einen digitalen Marktplatz gehandelt. Dank dieser lokalen börsenbasierten Stromhandelsplattform können Netzengpässe vermieden werden. Ein ins Netz integrierter Hybrid-Großspeicher liefert Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit von Speichern und über Vermarktungsstrategien im Rahmen neuer Stromhandels-Geschäftsmodelle. Darüber hinaus untersuchen die enera-Projektpartner das Ladeverhalten eines realen Hauses mit Energiemanagement-System, intelligentem Mess-System und Elektro-Fahrzeug. Dabei simulieren sie auch Netzengpässe. 32 Verbundpartner arbeiten in diesem Projekt zusammen. Das Schaufenster enera wird mit rund 51 Millionen Euro gefördert.

NEW 4.0: "Blaupause" für 2035

"NEW" steht für die Norddeutsche Energiewende und "4.0" für die vierte industrielle Revolution, also für Digitalisierung und Vernetzung. Das Schaufenster NEW 4.0 verbindet Hamburg mit dem Windenergie-Zentrum Schleswig-Holstein. Ziel ist eine sichere und kostengünstige Stromversorgung mit einem Erneuerbare-Energien-Anteil von 100 Prozent im Jahr 2035. Die im Projekt entwickelte Flex-Plattform ENKO (kurz für "Energien intelligent koordiniert") führt Marktteilnehmer zusammen, um Stromangebot und -nachfrage zu bündeln und ins Gleichgewicht zu bringen. So kann mehr Strom aus erneuerbaren Energien ins Stromnetz eingespeist werden. Darüber hinaus helfen neue Batteriespeicher dabei, das Netz zu entlasten und kurzfristige Schwankungen auszugleichen. Erprobt wird auch, wie industrielle Verbraucher statt konventioneller Kraftwerke zum Lastmanagement beitragen können, um das Stromnetz zu stabilisieren. Damit werden die Weichen gestellt, um Produktionsprozesse zu dekarbonisieren und statt fossiler Energieträger Strom aus erneuerbaren Quellen einzusetzen.

Mit acht "Power-to-Heat"-Anlagen untersuchen die beteiligten Experten, wie es gelingen kann, CO2-neutrale Wärme zu produzieren. An anderer Stelle wandeln Fachleute erneuerbar erzeugten Strom mithilfe von sogenannten Elektrolyseuren in Wasserstoff um, um die Energie für den Verkehrssektor nutzbar zu machen. 61 Partner sind am Projekt NEW 4.0 beteiligt, das mit rund 44 Millionen Euro gefördert wird.

WindNODE: flexible Verbraucher

Das Schaufenster WindNODE umfasst die Bundesländer im Nordosten Deutschlands. Heute wird in dieser Region die Hälfte des Stromverbrauchs mit Energie aus erneuerbaren Quellen gedeckt, die hier aber nicht immer benötigt wird. Im Fokus des Projekts stehen einerseits Speichertechnologien wie große Batterien, Elektroautos oder elektrische Wärmeerzeugung ("Power-to-Heat") und andererseits Stromkunden, die ihren Verbrauch flexibel erhöhen können , wenn gerade viel Wind- und Sonnen-Energie zur Verfügung steht. So können sie im Gegenzug Geld sparen. Sie sind über ein digitales Energiesystem vernetzt, mit dessen Hilfe sie ihren Verbrauch an der Stromerzeugung ausrichten können. Wie die anderen Schaufenster erproben auch die WindNODE-Projektpartner eine Flexibilitätsplattform als netzstabilisierendes Steuerungselement für Netzbetreiber. Im Rahmen des Ideenwettbewerbs "WindNODE Challenge – Energiewende als Gemeinschaftsprojekt" wurden innovative Vorschläge zu Themen wie "Stadtwerke der Zukunft", "Elektromobilität" und "Smart Meter" präsentiert. Den ersten Platz belegte ein Start-up, das Straßenbelag aus Photovoltaik-Modulen zur Erzeugung von Strom aus Sonnenenergie entwickelt. Am Projekt WindNODE sind 76 Partner beteiligt. Es wird mit einer Fördersumme von rund 37 Millionen Euro unterstützt.

Jedes der fünf Schaufenster funktioniert wie ein "Reallabor", das Musterlösungen für die technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen der Energiewende entwickelt (mehr über Reallabore erfahren Sie hier). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert SINTEG mit insgesamt mehr als 200 Millionen Euro. Zusammen mit den Investitionen der über 300 Unternehmen, die sich an dem Programm beteiligen, kommen so mehr als 500 Millionen Euro zusammen.