Der europäische Strommarkt wird grüner

Der zweite Teil des Gesetzespakets "Saubere Energie für alle Europäer" richtet den Strombinnenmarkt auf die steigenden Anteile erneuerbarer Energien aus. Den Verbrauchern bringt das mehr Wettbewerb und flexible Stromtarife.

Junge Frau pustet gemaltes Windrad auf Tafel an© Adobe Stock/contrastwerkstatt

Mehr Wettbewerb, mehr Flexibilität und mehr Optionen für Verbraucher – all das bringen die neuen Rechtsakte zum Strommarkt, die die EU in diesem Frühjahr verabschiedet. Mit den Neuregelungen soll der Stombinnenmarkt auf die steigenden Anteile von erneuerbaren Energien ausgerichtet und eine sichere und bezahlbare Stromversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger in der Union gewährleistet werden.

Zwei Jahre intensive Verhandlungen und über 1.000 Seiten Rechtstext, gegossen in acht Richtlinien und Verordnungen, liegen hinter den europäischen Energiepolitikern. Im vergangenen Sommer war der erste Teil des umfangreichen Legislativpakets "Saubere Energie für alle Europäer" beschlossen worden. Dieser sieht insbesondere neue EU-Ziele im Energie- und Klimaschutzbereich für 2030 vor (mehr dazu hier). Nun hat nach der informellen Einigung bei den Trilogverhandlungen im Dezember der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten auch den dazugehörigen Regelungen zum Strommarkt für die europäische Energiewende zugestimmt. Die finale Annahme der Texte in Rat und Parlament ist noch vor der Europawahl im Mai geplant.

Wir stellen zentrale Auswirkungen von Strommarkt-Richtlinie, Strommarkt-Verordnung und Risikovorsorge-Verordnung vor.

Stromversorger müssen flexible Tarife anbieten

Stromversorger mit mehr als 200.000 Kunden müssen künftig flexible Stromtarife anbieten. Das ist vor allem für die Verbraucher interessant, die einen intelligenten Stromzähler ("Smart Meter") nutzen. Sie können einen Tarif wählen, mit dem sie zu bestimmten Zeiten günstigeren Strom beziehen, und ihr Verbrauchsverhalten daran ausrichten, zum Beispiel das Elektroauto dann laden, wenn der Strom am wenigsten kostet. Die Stromanbieter können auf diese Weise die Nachfrage steuern, was im Strommarkt der Zukunft mit schwankender Verfügbarkeit von Wind- und Sonnenenergie immer wichtiger wird.

Freiwerdende Kapazitäten lassen sich leichter vermarkten

Großverbraucher können ihre Stromkosten senken, indem sie ihren Verbrauch flexibilisieren und die freiwerdende Stromkapazität am Markt anbieten – zum Beispiel Kühlhäuser, die zeitweise statt auf minus 20 Grad nur auf minus 19 Grad herunterkühlen. Wenn es sich nicht lohnt, diese einzelnen Absenkungen selbst zu vermarkten, helfen sogenannte Aggregatoren. Das sind Anbieter, die kleinteilige Kapazitäten mehrerer Verbraucher bündeln und am Markt anbieten. Die neue Strommarkt-Richtlinie enthält erstmals grundlegende Regeln, die die Arbeit von unabhängigen Aggregatoren, also jenen, die nicht zu den Stromlieferanten gehören, erleichtern. Das wird den Markt beleben und bislang nicht genutzte, kleinteilige Flexibilitäten nutzbar machen.

Erneuerbarer Strom ist überall in 15-Minuten-Einheiten handelbar

Zur Belebung des Marktes und zur Integration der erneuerbaren Energien trägt auch bei, dass Strom künftig EU-weit in 15-Minuten-Einheiten gehandelt werden kann. In Deutschland gilt das zwar schon heute, aber in anderen Ländern liegt die kürzeste Einheit des Produkts Strom bislang bei einer Stunde. Das benachteiligt Strom aus Erneuerbaren, weil sich dessen Verfügbarkeit weniger gut planen lässt. Die kürzeren Einheiten werden den Verkauf von Strom aus erneuerbaren Anlagen europaweit erleichtern und damit auch den grenzüberschreitenden Austausch verbessern.

Versorgungssicherheit wird mehr und mehr zum europäischen Projekt

Die EU-Mitglieder haben erkannt, dass sich Versorgungssicherheit günstiger und verlässlicher erreichen lässt, wenn sich Erzeugung und Verbrauch europaweit ausgleichen. Sie wollen deshalb künftig Versorgungslücken gemeinsam schließen. So sollen die Mitgliedstaaten auch Kraftwerkskapazitäten in Nachbarstaaten berücksichtigen, wenn sie Maßnahmen zur Versorgungssicherheit ergreifen. Die Folge: Die Gesamtzahl der benötigten Reservekraftwerke und die damit verbundenen Kosten sinken. Ein europäischer Versorungssicherheitsbericht schafft die Grundlage dafür. Die neue Verordnung zur Risikovorsorge schreibt zudem vor, dass die Mitgliedsstaaten Risikovorsorgepläne erstellen müssen, die sowohl nationale als auch grenzüberschreitende Maßnahmen zur Krisenprävention und -bewältigung enthalten.

Regional Cooperation Centres erhalten neue Aufgaben im Bereich Versorgungssicherheit und Stromhandel. Dort arbeiten die Übertragungsnetzbetreiber der jeweiligen Region zusammen und berechnen unter anderem die täglichen Handelskapazitäten.

Grenzüberschreitender Stromaustausch wird massiv gefördert

Die neue Strommarkt-Verordnung sieht vor, dass die sogenannten Interkonnektoren stärker für den grenzüberschreitenden Stromhandel geöffnet werden (wie diese Grenzübergänge für Strom genau funktionieren, erklären wir hier). Laut der neuen Verordnung sollen die Handelskapazitäten künftig schrittweise bis auf 70 Prozent steigen. Damit soll der EU-weite Stromhandel erhöht werden. Deutschland kommt wegen seiner geografischen Lage dabei eine wichtige Rolle zu.

Damit verbunden ist auch die Frage, wie Mitgliedstaaten mit internen Netzengpässen umgehen. Denn durch vermehrten grenzüberschreitenden Handel steigt auch der Druck auf die Netze. Bislang haben die Mitgliedstaaten oft die "Grenzen dicht gemacht", wenn sie interne Netzengpässe hatten und damit den nationalen Stromhandel bevorzugt. Jetzt sieht die Strommarkt-Verordnung vor, dass Mitgliedstaaten den Mindestwert von 70 Prozent erreichen und dem grenzüberschreitenden Stromhandel zur Verfügung stellen müssen.

Mitgliedsstaaten mit internen Engpässen dürfen zukünftig entscheiden, ob sie ihren Strommarkt in mehrere Gebotszonen aufteilen (was unterschiedliche Preiszonen in Deutschland zur Folge hätte) oder einen Aktionsplan zum Abbau der Netzengpässe vorlegen. Wer einen solchen Aktionsplan vorlegt, bekommt eine Übergangsfrist bis 2025, in der die Interkonnektoren schrittweise vom heutigen Nutzungsniveau auf die 70-prozentige Öffnung gebracht werden müssen.

Diese Anforderungen stellen Deutschland vor große Herausforderungen, aber die Energiewende braucht den grenzüberschreitenden Stromaustausch für die Integration der erneuerbaren Energien und eine kosteneffiziente Energieversorgung. Und die Übergangsphase gibt Deutschland Zeit, beim Netzausbau aufzuholen.

Abschied von Subventionen für CO2-intensive Kraftwerke

Ebenfalls neu sind die Mindestanforderungen für Kapazitätsmärkte. In einem Kapazitätsmarkt erhalten Kraftwerksbetreiber Geld dafür, dass sie Leistung (Kapazität) vorhalten. Die Strommarkt-Verordnung enthält Vorgaben, die die marktverzerrende Wirkung von solchen Kapazitätsmärkten begrenzen sollen. Deutschland hat sich schon vor Jahren gegen Kapazitätsmärkte entschieden und folgt stattdessen der Maxime, dass ein gestärkter Strommarkt genügend Anreize für ausreichende Kapazitäten setzt.

Darüber hinaus wird ein sogenannter Emissions Performance Standard (EPS) eingeführt. Dieser begrenzt künftig die Teilnahme von besonders CO2-intensiven Kohlekraftwerken an Kapazitätsmechanismen. Für Neuanlagen gilt der Höchstwert ab 2020, für Bestandsanlagen ab 2025. Der EPS setzt damit ein klares politisches Signal für klimafreundliche Neuinvestitionen in Europa. Der Bau von Kraftwerken, die den EPS nicht erfüllen, rechnet sich bald nicht mehr.

Größere EE-Anlagen müssen Strom selbst vermarkten

Die Betreiber von Anlagen für erneuerbare Energien sind in ganz Europa künftig selbst für die Vermarktung ihres Stroms zuständig. Das ist in Deutschland bereits mit der sogenannten Marktprämie der Fall. Ausnahmen gelten für kleine Anlagen unter 400 Kilowatt (ab 2026 unter 200 Kilowatt), die eine feste Einspeisevergütung erhalten. In Deutschland ist eine solche fixe Vergütung nach aktuell geltendem Recht nur für Anlagen unter 100 Kilowatt vorgesehen. Die Neuregelung der EU kommt jedoch nur zum Tragen, wenn die Mitgliedsstaaten von ihrem Zielpfad für den nationalen Beitrag zum EU-Erneuerbaren-Ziel abweichen oder wenn ihr Anteil an Erneuerbaren im Stromsektor unter 50 Prozent liegt; andernfalls liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, ob sie die Ausnahme für kleine Anlagen nutzen.

Einspeisevorrang für Erneuerbare wird europaweit gestärkt

Auch der Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien in das Stromnetz wird gestärkt. Es ist nunmehr klar geregelt, dass erneuerbare Energien bei Netzengpässen überall in Europa Vorrang haben und bei Redispatch erst als letzte Erzeuger abgeregelt werden dürfen (mehr über diesen Vorgang erfahren Sie hier). Bei Abregelungen sind die Anlagenbetreiber zu entschädigen. In Deutschland ist das schon heute der Fall, in Europa war die Rechtslage aber bislang unklar.

Ab wann gelten die neuen Regelungen?

Die drei Richtlinien und Verordnungen treten voraussichtlich diesen Sommer in Kraft. Die Risikovorsorge-Verordnung ist dann sofort geltendes Recht in den Mitgliedsstaaten. Die Artikel der Strommarkt-Verordnung zu Handelskapazitäten und Gebotszonen gelten ebenfalls sofort nach Inkrafttreten, alle übrigen ab 1. Januar 2020. Bei der Strommarkt-Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten bis Ende 2020 Zeit, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.