(Keine) Eiszeit für Windenergieanlagen

Wenn die Rotorblätter von Windenergieanlagen vereisen, können sie zu gefährlichen Eisschleudern werden. Der Gesetzgeber fordert deshalb in solchen Situationen: abschalten. Wissenschaftler untersuchen nun, wie sich das verhindern lässt.

Schwäne in Winterlandschaft mit Windrädern im Hintergrund.© Adobe Stock/Naj

2017 haben Windenergieanlagen in Deutschland mehr Strom erzeugt als Steinkohle, Kernenergie oder Erdgas: Die Anlagen an Land und im Wasser lieferten fast 105 Terawattstunden Strom – das entspricht über 15 Prozent der gesamten Stromerzeugung. Gerade im stürmischen Herbst und Winter können sie einen erheblichen Anteil des benötigten Stroms alleine erzeugen – in Spitzenzeiten und bei sehr niedrigem Stromverbrauch mehr als 80 Prozent. Das gilt aber nur, solange die Temperaturen über dem Gefrierpunkt liegen. Sobald sie unter null Grad Celsius fallen, haben Windräder je nach Witterungslage mit einem Problem zu kämpfen: Eisbildung.

Abschalten statt Eis schleudern

Bei hoher Luftfeuchtigkeit und niedrigen Temperaturen vereisen die Rotorblätter der Windenergieanlagen genauso wie Autoscheiben oder Bürgersteige. Kein Problem, könnte man meinen, da sie sich in luftiger Höhe befinden und weder freigekratzt noch gestreut werden müssen. Aber weit gefehlt: Im laufenden Betrieb werden vereiste Rotorblätter zu regelrechten Eisschleudern, die Mensch und Tier am Boden gefährden. Zudem kann der sogenannte Eisaufwuchs auf den Rotorblättern zu Unwuchten und damit zu Getriebeschäden an den Windrädern führen. "Abschalten" heißt deshalb die gesetzlich vorgegebene, für Anlagenbetreiber aber teure Konsequenz.

Eine Alternative war bislang ein Heizsystem in den Rotorblättern, das die Vereisung verhindert. Dieses System benötigt allerdings bis zu zehn Prozent des Stroms, den das Windrad bei Nennleistung erzeugt. Bläst nur wenig Wind, verzehrt die Heizung noch größere Anteile der gewonnenen Energie. Der hohe Stromverbrauch ist der Grund dafür, dass die Heizungen nicht durchgehend betrieben werden. Einige Anlagentypen lassen sich zudem nach einem Stillstand nicht per Knopfdruck aus der Ferne wieder anfahren. Ein Service-Mitarbeiter muss sie vor Ort aktivieren, nachdem sichergestellt wurde, dass kein Eiswurf mehr droht.

Um die Vereisungsgefahr zu reduzieren, forschen Wissenschaftsteams an eisabweisenden Beschichtungen für die Rotorblätter und an präzisen Vorhersageinstrumenten, wann mit Eis zu rechnen ist.

Mehr Daten für weniger Stillstand

Im Forschungsprojekt PiB (kurz für: Prädiktive intelligente Betriebsführung zur Verringerung des Vereisungsrisikos von Windenergieanlagen) forscht die Universität Bremen gemeinsam mit Partnern an einer verbesserten Datenlage und -analyse. Hierfür sollen die Zustandsdaten vieler Windenergieanlagen mit Informationen zum bisherigen Betrieb, zu Wartungs- und Reparaturzyklen sowie meteorologischen Daten zusammengeführt werden. Zudem ist geplant, auch Daten aus verschiedenen Windparks mit ihren jeweiligen Standorteigenschaften zu integrieren. So entsteht mittelfristig ein umfassendes Bild, das genauere Aussagen über das Vereisungsrisiko jeder einzelnen Anlage zulässt. Anlagenbetreiber können auf dieser Datenbasis effizienter reagieren und den unnötigen Stillstand ihrer Windenergieanlagen vermeiden, indem sie zum Beispiel vorhandene Heizsysteme zeitgenau einsetzen.

Erst simulieren, dann optimieren

Das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) geht einen anderen Weg. Zusammen mit verschiedenen Partnern aus Forschung und Industrie entwickelt und prüft es im Projekt OptAnIce (kurz für: Optimales Anti-Icing für Rotorblätter im kalten Klima) verschiedene neuartige Oberflächenbeschichtungen für Rotorblätter. Dafür finden zum Beispiel an einem Prüfstand in Bremerhaven realitätsnahe Tests von innovativen Anti-Icing-Beschichtungen – auch Coatings genannt – unter Vereisungsbedingungen statt. Zudem wollen die Forscher mathematische Modelle optimieren, mit denen sich der Eisaufbau auf den Rotorblättern simulieren lässt. Diese Simulationen dienen den Lackherstellern als effizientes Werkzeug für die Verbesserung ihrer Coatings. Die besten Beschichtungen werden abschließend in einem Windkanal unter Vereisungsbedingungen getestet.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert die beiden Forschungsprojekte mit knapp zwei Millionen Euro bis Ende 2020. Bis erste Ergebnisse den Weg in die Praxis finden, dürfen die Betreiber von Windenergieanlagen vor allem auf eines hoffen: milde Winter.