Kleine Monsterwellen mit großer Wirkung

Eine Sturmflut mitten in Niedersachsen – der "Große Wellenkanal" des Forschungszentrums Küste in Hannover macht’s möglich. Mit "marTech" startet dort ein großes Forschungsprojekt, bei dem auch Bauteile für Windkraftanlagen auf See getestet werden.

"Großer Wellenkanal" des Forschungszentrum Küste in Hannover.© Forschungszentrum Küste, Hannover

Offshore-Windkraftanlagen tragen maßgeblich zum Erfolg der deutschen Energiewende bei. Sie sind im offenen Meer jedoch extremen Bedingungen ausgesetzt: 1995 zum Beispiel wurde bei einem Sturm in der Nordsee eine 26 Meter hohe Welle dokumentiert.

Welche Auswirkungen solche Monsterwellen auf Windkraftanlagen haben, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des neuen Forschungsprojekts "marTech" künftig im Maßstab eins zu zehn simulieren – im Großen Wellenkanal (GWK) des Forschungszentrum Küste in Hannover. In dem 310 Meter langen Versuchskanal, den die Leibniz Universität Hannover gemeinsam mit der Technischen Universität Braunschweig betreibt, erzeugt demnächst eine neue Wellenmaschine bis zu 2,7 Meter hohe Wellen. Mit verkleinerten Modellen von Windkraftanlagen lassen sich so die Auswirkungen von Monsterwellen untersuchen. Und entsprechend sichere Bauteile und Fundamente entwickeln.

Wind und Wellen: Härtetest auf dem Meer und an der Küste

Zusätzlich zur neuen Wellenmaschine wird ein einzigartiges Strömungssystem eingebaut, das bis zu 12.500 Liter Wasser pro Sekunde zusätzlich durch den Kanal pumpen kann. Außerdem erhält der Kanalboden eine 8-Meter-Vertiefung, um den realen Meeresboden nachzubilden. Beide Neuerungen dienen dazu, das Wechselspiel von Wellen und Strömungen untersuchen zu können. Die Forscher wollen durch die praxisnahen Tests Erkenntnisse darüber gewinnen, wie die Fundamente der Windkraftanlagen optimal im Meeresboden verankert werden müssen. Und wie sich das Sedimentbett, das ein solches Fundament umgibt, mittels eines sogenannten Kolkschutzes aus größeren und kleineren Steinen schützen lässt. "Die dynamischen Meeresströmungen und Belastungen aus Wellen führen häufig dazu, dass der Meeresboden rund um das Fundament der Windenergieanlage weggespült wird", erklärt Prof. Torsten Schlurmann von der Leibniz Universität Hannover. "Diese Erscheinung ist vergleichbar mit einer Parodontose-Erkrankung des Zahnfleischs, die die Standsicherheit des Zahns gefährden kann." Den neuen, tiefen Bereich im Wellenkanal wollen die marTech-Forscherinnen und -Forscher nun nutzen, um unterschiedliches Material – etwa norwegischen Granit in unterschiedlichen Steingrößen – bei verschiedenen Wellenhöhen und Strömungsbelastungen als Kolkschutz zu testen.

Die Neuerungen im GWK sollen auch Erkenntnisse liefern, wie sich Deiche in Küstenregionen überschwemmungssicher machen lassen. Denn durch die Klimaveränderungen steigen die Meeresspiegel – und damit auch die Anforderungen an den modernen Deichbau. Zudem sollen Tests zeigen, ob sich mit Materialien, die heute bereits im Deichbau zum Einsatz kommen, auch Windkraftanlagen schützen lassen. Beispielsweise werden vielerorts Kunststoffbahnen in den Deichaufbau integriert, die den Wellen und Strömungen standhalten und das Erdreich schützen. Die speziellen Planen sind einfach zu installieren, vielseitig anwendbar und kostengünstig – und könnten auch eingesetzt werden, um die Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen zu schützen.

Strom aus Wellen gewinnen

Die marTech-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler forschen auch an maritimen Energietechnologien der Zukunft: Mit Meeresenergieanlagen wollen sie künftig Wellenbewegungen und Gezeitenströmungen nutzen, um zuverlässig Strom zu erzeugen. Im Gegensatz zu klassischen Wasserkraftanlagen an Flüssen oder in Gebirgen steckt diese Technik allerdings noch in einer frühen Entwicklungsphase: Die Forscherinnen und Forscher planen derzeit, verschiedene Technikkomponenten auf schwimmenden Pontons zu testen, um nicht nur die Belastungen, sondern auch die Lebensdauer der Bauteile besser einschätzen zu können.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert das Forschungsprojekt marTech mit rund 35 Millionen Euro.