Erneuerbare Energien und Netzstabilität: Geht es vorerst auch ohne Speicher?

Zu dieser Frage äußern sich Dr. Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb bei 50Hertz, sowie Urban Windelen, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbandes Energiespeicher (BVES).

PRO: Dr. Dirk Biermann

Dr. Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb bei 50Hertz© 50Hertz

Als Netzbetreiber sind wir an vielen Optionen interessiert, die die notwendigen Systemlösungen bereitstellen, um die Energiewende sicher gestalten zu können. Hierzu zählen auch Speicher. Doch Speicher ist nicht gleich Speicher. Wir unterscheiden grundlegend zwischen Kurzfristspeicherung, insbesondere in Batterien, und längerfristiger Energiespeicherung.

Aufgrund der Photovoltaik ist die klassische tageszyklische Fahrweise von Pumpspeicherkraftwerken heute nicht mehr profitabel. Zur Speicherung von Windstrom und Überbrückung von Zeiten mit wenig erneuerbarer Einspeisung bräuchte man längere Speicherzyklen und somit größere Speichervolumina. Mit der skandinavischen Wasserkraft können wir über zusätzliche Interkonnektoren wie der geplanten Hansa Power Bridge solche Potenziale bereits jetzt für Zentraleuropa wirtschaftlich erschließen; dringend benötigt werden sie allerdings wohl erst mit sehr viel höheren Anteilen erneuerbaren Stroms. Ob dann die bislang sehr teure Power-to-Gas-Technologie als im Grunde einzige derzeit verfügbare, direkte saisonale Speicheroption den Durchbruch erzielt haben wird, ist schwer zu prognostizieren.

Vor diesem Hintergrund ist ein funktionierender Strommarkt wichtig, der richtige Anreize für künftige Investitionen setzt und volkswirtschaftliche Fehlsteuerungen wie zum Beispiel bei den Pumpspeicherkraftwerken vermeidet, die sehr wohl systemische Aufgaben wie Redispatch, Schwarzstartfähigkeit und Spannungshaltung erbringen können.

Stichwort Flexibilität: Derzeit besteht kein dringender Bedarf an zusätzlicher Flexibilität, dieses Thema wird oft zu sehr dramatisiert. Es sind auch weniger die Erneuerbaren, sondern vielmehr die konventionellen Kraftwerke, die im Zuge ihrer Stilllegung durch neue Flexibilitätsoptionen ersetzt werden müssen. Speicher – vor allem Batteriespeicher – sind dafür technologisch hervorragend geeignet, stehen aber im Wettbewerb mit anderen, künftig sicher sehr kostengünstigen Alternativen wie Demand Side Management und zum Beispiel Regelleistung aus Erneuerbaren.

Trotzdem werden sich Batterien rasant entwickeln, nicht aufgrund des Systembedarfs, sondern getrieben durch die wachsende Zahl von Prosumern und durch E-Mobility in Verbindung mit weiter sinkenden Preisen.

Dr. Dirk Biermann ist Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb bei 50Hertz.

CONTRA: Urban Windelen

Urban Windelen, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbandes Energiespeicher e.V. (BVES)© BVES

Sicher ginge es vorerst auch ohne Speicher – fragt sich nur zu welchem Preis!

Ein effizientes und effektives Energiesystem mit dem Ziel einer Versorgung aus erneuerbaren Energiequellen setzt aber bereits auf dem Weg dahin besser auf Speicher.

Netze haben nur die Möglichkeit, Energie von A nach B zu liefern. „One-trick pony" nennt man so etwas im Englischen, sie haben nur einen Trick auf Lager. Speicher dagegen sind wie ein Schweizer Taschenmesser – viele nützliche Werkzeuge in einem Gerät. Ein Speicher kann eine Vielzahl an Systemdienstleistungen flexibel und kostengünstig erbringen.

Die dauernde Diskussion „Speicher oder Netze?" hilft letztlich aber nicht weiter. Für eine erfolgreiche und akzeptierte Energiewende brauchen wir jedenfalls beides – Speicher und Netze.

Wie lange wollen wir es uns aber noch leisten, allein auf Netze zu setzen? Der Stillstand beim Ausbau dauert an und erhöht permanent die Kosten. Im Jahr 2015 beliefen sich die Redispatchkosten in Deutschland bereits auf eine Milliarde Euro – Tendenz weiter steigend. Hier könnten Energiespeicher Kosten senken und Gelder sparen, indem sie lokal überschüssigen Strom speichern und nutzen. Wind- oder Solaranlagen müssten nicht abgeregelt werden, und die Netze würden gleichzeitig entlastet. Hinzu kommen die Vorteile der Sektorenkopplung.

Der Einsatz von Speichern wird jedoch ausgebremst, so lange sie bei Steuern und Abgaben als Letztverbraucher eingeordnet werden oder zum Beispiel nicht diskriminierungsfrei am Regelenergiemarkt teilnehmen können.

Die Flexibilisierung der Stromerzeugung und des Verbrauchs ist der Schlüssel für das künftige Energiesystem. Genau hier können Speicher ihre Stärken ausspielen. Dies jedoch nur, wenn die Rahmenbedingungen angepasst werden. Aktuell, im Zuge des Strommarktgesetzes, besteht im Bundestag dazu die Möglichkeit. Es ist nun höchste Zeit, die Alternativen stärker in den Fokus zu nehmen. Die Energiewende kann nicht auf den Netzausbau warten.

Urban Windelen ist Bundesgeschäftsführer des Bundesverbandes Energiespeicher e.V. (BVES).