Zwei Konzepte, zwei Meinungen: Windenergieanlagen – mit oder ohne Getriebe?

Seit einigen Jahren stehen sich zwei grundlegende Bauweisen von Windenergieanlagen gegenüber: mit und ohne Getriebe. Worin liegen dabei jeweils die technischen Vorteile? Prof. Dr. Friedrich Klinger (HTW Saar) und Prof. Dr. Georg Jacobs (RHTW Aachen) vertreten hierzu unterschiedliche Meinungen.

Hintergrund

Windenergieanlagen mit und ohne Getriebe: Beide sind auf dem Markt erhältlich, beide werden hinsichtlich Leistung, Zuverlässigkeit und Lebensdauer kontinuierlich weiterentwickelt. Und doch beruhen sie auf grundlegend unterschiedlichen Technologien. Professor Dr. Friedrich Klinger ist Pionier der getriebelosen Windenergieanlagen: Seit 1990 arbeitet er mit seiner Forschungsgruppe Windenergie, heute an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW Saar), an diesem Anlagenkonzept. Hingegen hat sich Professor Dr. Georg Jacobs, Leiter des Instituts für Maschinenelemente und Maschinengestaltung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, in seinen Forschungsarbeiten auf die Weiterentwicklung von Windenergieanlagen mit Getriebe spezialisiert. Im Interview werben beide Experten für die Vorteile ihres Anlagenkonzepts. Welche Technologie sich in Zukunft durchsetzt, ist noch nicht entschieden.

PRO GETRIEBELOSE ANLAGEN: PROF. DR. FRIEDRICH KLINGER

Prof. Friedrich Klinger (HTW Saar)© A.J. Schmidt

Herr Professor Dr. Klinger, worin besteht Ihrer Meinung nach der technische Vorteil getriebeloser Windenergieanlagen?
Klinger: Der Vorteil besteht darin, dass die Rotorleistung direkt auf den Generator übertragen wird, deshalb nennen wir das Konzept auch Direktantrieb. Das Getriebe zwischen Rotor und Generator fällt weg. Damit wird der Antriebsstrang zumindest bis zum Umrichter nahezu wartungsfrei. Die Anlage wird robuster, das Layout einfacher und die Zahl der Teile um mehr als die Hälfte reduziert. Im unteren Teillastbereich, bis circa 30 Prozent der Nennleistung, ist der Übertragungswirkungsgrad deutlich besser. Das hängt damit zusammen, dass für den hierbei genutzten „Synchrongenerator“ Permanentmagnete verwendet werden, so dass die bei Elektromagneten üblichen Leistungsverluste wegfallen. Unser Institut hat diese Bauart des Generators erstmals für Windenergieanlagen vorgeschlagen und so ausgeführt, dass der Rotor außen angeordnet ist. Damit fällt der Außendurchmesser des Generators kleiner aus.

Wird sich diese Antriebsstrangtechnologie in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren am Markt durchsetzen?
Klinger: Da die Verfügbarkeit und der Wartungsaufwand bei den großen Megawattmaschinen bei den Stromgestehungskosten eine immer größere Rolle spielen werden, werden sich Direktantriebe bei Windenergieanlagen langfristig durchsetzen, zumindest überwiegend. Auch bei einem Massenprodukt wie dem Fahrraddynamo hat es Jahrzehnte gedauert, bis die Lichtmaschine mit Reibradgetriebe durch den direktgetriebenen Nabendynamo überwiegend verdrängt wurde.

Skizze einer getriebelosen WindenergieanlageSkizze einer getriebelosen Windenergieanlage aus der Feder von Prof. Dr. Friedrich Klinger © INNOWIND Forschungsgesellschaft mbH

Welche Weiterentwicklungen sind hierbei beispielsweise möglich?
Klinger: Es gibt Vorschläge, den Generator mit supraleitenden Spulen zu bauen, um ihn im Volumen zu reduzieren. Möglicherweise ist der Aufwand für Entwicklung und Fertigung zu hoch. Ein rein hydrostatischer Antriebsstrang wurde von Artemis Intelligent Power Ltd. und Mitsubishi Hitachi Power Systems Ltd. entwickelt und gebaut. Darin sind Getriebe und Umrichter durch ölhydraulische Pumpen und Motoren, die eine variable Drehzahlübersetzung möglich machen, ersetzt. Eine Weiterentwicklung des getriebelosen Triebstrangs ist der Nabengenerator, an dem wir zurzeit arbeiten. Es ist der Versuch, den Generator in die Nabe einzubauen oder die Rotorblätter direkt auf den Außenläufer des Generators zu setzen. Damit sollen Gewicht und Verbindungsflansche eingespart werden.

PRO WINDENERGIEANLAGEN MIT GETRIEBE: PROFESSOR DR. GEORG JACOBS


Herr Professor Dr. Jacobs, worin besteht Ihrer Meinung nach der technische Vorteil von Windenergieanlagen mit Getriebe?
Jacobs: Der Rotor einer Windenergieanlage erntet etwa 50 Prozent der Strömungsleistung des Windes und wandelt diese in mechanische und anschließend mithilfe eines Generators in elektrische Leistung. Die Baugröße des erforderlichen Generators ist in erster Linie von dessen Drehzahl abhängig. Je geringer sie ist, desto größer fällt er aus und desto mehr kostenintensives Kupfer- und Magnetmaterial wird benötigt. Getriebe bieten die Möglichkeit, die physikalisch bedingte niedrige Rotordrehzahl anzuheben und so die Generatorgröße wirksam zu reduzieren. Am Beispiel moderner Onshore-Windenergieanlagen der 2,5-Megawatt-Klasse wird sso die Rotordrehzahl von circa 14 Umdrehungen pro Minute auf eine Generatordrehzahl von 500 bis 1.650 Umdrehungen pro Minute angehoben. Die Nutzung von Getrieben ist in weiten Bereichen der industriellen Antriebstechnik verbreitet, um die Baugröße von Generatoren und Pumpen sowie elektrischer und hydraulischer Motoren zu reduzieren und so Kosten zu sparen. Auch die großen Hersteller von Antriebskomponenten für Elektrofahrzeuge nutzen konsequent die Kostenvorteile schnelldrehender elektrischer Motoren in Kombination mit mechanischen Getrieben. Da insbesondere bei den Onshore-Windenergieanlagen der Kostendruck infolge des internationalen Wettbewerbs steigt, versuchen die Hersteller zunehmend, die in anderen Branchen etablierten Kostenvorteile auf die eigenen Produkte zu transferieren.

Welche Weiterentwicklungen sind hierbei beispielsweise möglich?
Jacobs: Voraussetzung für die oben beschriebene Entwicklung ist eine weitere Steigerung der Zuverlässigkeit der Getriebe von Windenergieanlagen. Die Zuverlässigkeit von Windenergieanlagen wird heute maßgeblich von der Funktion der Lagerstellen – nicht nur im Getriebe, sondern auch am Hauptlager des Rotors – beeinflusst. Um hier voranzukommen, müssen die Betriebsbedingungen, insbesondere die lokal wirkenden Lasten, analysiert und bei der Entwicklung und Erprobung der Wälzlager angemessen berücksichtigt werden.

Wird sich diese Antriebsstrangtechnologie in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren am Markt durchsetzen?
Jacobs: Ja, weil zu erwarten ist, dass die Zuverlässigkeitssteigerung gelingt.

Systemprüfstand für 4-Megawatt-Windenergieanlagen an der RWTH Aachen aus dem Ziel2-Projekt „Verbesserung des Betriebsverhaltens von On-Shore Windenergieanlagen mithilfe eines neuartigen Systemprüfstandes"Systemprüfstand für 4-Megawatt-Windenergieanlagen an der RWTH Aachen aus dem Ziel2-Projekt „Verbesserung des Betriebsverhaltens von On-Shore Windenergieanlagen mithilfe eines neuartigen Systemprüfstandes" © Institut für Maschinenelemente und Maschinengestaltung, RWTH Aachen

Diese Beiträge stammen aus dem Forschungsjahresbericht 2014 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, "Innovation durch Forschung", in dem Sie einen Überblick über die Forschungsförderung des BMWi rund um die Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz und einen Einblick in geförderte Projekte erhalten.