"Künstliches Gehirn" berechnet Strombedarf tagesaktuell

Nicht immer wird bundesweit genau so viel Strom produziert wie gerade benötigt wird. Um das Netz und die Versorgung stabil zu halten, muss sogenannte Regelleistung vorgehalten werden. Sie täglich exakt berechnen zu können war das Ziel eines vom BMWi mit 570.000 Euro geförderten Forschungsprojekts.

Strommasten bei Sonnenuntergang© BMWi/ Holger Vonderlind

Über Jahre hinweg war es üblich, den erwarteten Strombedarf aufgrund von Erfahrungswerten für drei Monate im Voraus festzulegen. Doch die Stromproduktion in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: Der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch ist kontinuierlich angestiegen, auf 27,8 Prozent im letzten Jahr. Diese Entwicklung haben die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in eine neue Methode der Strombedarfsberechnung einbezogen, die sie im Rahmen des Forschungsprojekts "Dynamische Bestimmung des Regelleistungsbedarfs" entwickelt haben. In die Berechnungen fließen viele tagesaktuelle Faktoren ein: Wetterlage und Temperaturen zu bestimmten Uhrzeiten und die davon abhängige Stromeinspeisung durch Photovoltaik- und Windenergieanlagen.

Bei den Berechnungen hilft eine Art "künstliches Gehirn"

Der ein Vierteljahr im Voraus bestimmte Regelleistungsbedarf hat sich in der Vergangenheit immer wieder als ungenau erwiesen. Ein besonders prägnantes Beispiel: Anfang 2012 war es in Deutschland ungewöhnlich kalt, der Stromverbrauch ungewöhnlich hoch. Dadurch wurde viel mehr Regelenergie benötigt als geplant, die Netzstabilität war in Gefahr. Nicht vorhersehbare Wetterlagen wie diese können in das neue Berechnungsverfahren unmittelbar einbezogen werden. Das gilt auch bei einem sprunghaften Anstieg der Stromproduktion bei langem Sonnenschein oder wenn der Wind über mehrere Tage kräftig bläst.

Nach den Ergebnissen des Forschungsprojekts kann die neue dynamische Berechnungsmethode den tatsächlichen Bedarf an Regelleistung deutlich besser abbilden, als es mit dem bisher eingesetzten statischen Verfahren möglich ist. Im Durchschnitt ist es somit möglich, weniger Regelleistung vorhalten zu müssen – und dadurch hohe Kosten zu sparen. Gleichzeit wird eine noch höhere Sicherheit der Netzstabilität erreicht.

Die Wissenschaftler verwenden für ihre Berechnungen eine Art künstliches Gehirn, ein neuronales Netz, das mit Informationen versorgt wird und dadurch selber lernt. Als Input haben sie historische Zeitreihen aller Einflussfaktoren benutzt, durch die das Programm die benötigten Verknüpfungen bilden konnte. Das Verfahren beinhaltet auch eine Korrekturfunktion, die tägliche Aktualisierungen möglich macht.

Was ist eigentlich Regelleistung?

Regelleistung wird grundsätzlich immer dann eingesetzt, wenn Erzeugung und Verbrauch von Strom nicht im Gleichgewicht sind. Ohne den Einsatz von Regelleistung würde das Stromnetz instabil und könnte im schlimmsten Fall zusammenbrechen. Dabei wird Regelleistung in unterschiedlichen Qualitäten vorgehalten:

  • Die Primärregelleistung ist die schnellste Regelleistungsart. Für sie müssen Anlagen den Strom innerhalb von 30 Sekunden bereitstellen können.
  • Die Primärregelleistung wird nach spätestens fünf Minuten von der Sekundärregelleistung abgelöst.
  • Bei länger anhaltenden Ungleichgewichten wird zusätzlich eine Minutenreserve eingesetzt, die innerhalb von 15 Minuten aktiviert werden kann.

Früher wurde die Regelleistung vor allem durch Großkraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke bereitgestellt. Seit einigen Jahren kommen zum Beispiel auch Biogasanlagen zum Einsatz.