kontrovers
"Brauchen wir trotz des steigenden Anteils erneuerbarer Energien weiterhin Kohlekraftwerke?"

Zu dieser Frage äußern sich Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, und Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND.

Michael Vassiliadis

Portrait von Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE© Helge Krückeberg / IG BCE

Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE):

"Im Jahr 2011 hat die Ethik-Kommission „Sichere Energieversorgung“ ihren Abschlussbericht vorgelegt. Doch es verstrich viel Zeit, bis endlich ernsthaft begonnen wurde, die energiepolitischen Rahmenbedingungen den Konsequenzen des Atomausstiegs und des beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energien anzupassen. Die Energiewende drohte stecken zu bleiben, ehe sie zielgerichtet Fahrt aufgenommen hatte. Es bedurfte schon einer Kraftanstrengung der Bundesregierung und insbesondere des Bundeswirtschaftsministers, den dringend erforderlichen Neustart auf den Weg zu bringen. Eine Energiewende 2.0 gewinnt Kontur, wir begrüßen das ausdrücklich.

Die IG BCE streitet für eine ökonomisch, sozial und ökologisch ausbalancierte Energiewende. Es wäre nur kontraproduktiv, wenn diese Aspekte gegeneinander ausgespielt würden. Erforderlich ist jetzt eine Roadmap für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Der Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien ist lang.

Wir stehen vor der strategischen Herausforderung, Investitionsanreize in Innovationen mit Kosteneffizienz zu verbinden. Das gilt für die Erneuerbaren selbst, das gilt beispielsweise aber auch für Speichertechnologien, Netzausbau, Gebäudesanierung und den Verkehr. Wir dürfen dabei unsere Volkswirtschaft nicht überfordern.

Um auf der gesamten Strecke die Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können, müssen Brücken gebaut werden – Brücken aus Kohle und Gas. Die Braunkohle beispielsweise sichert eine wettbewerbsfähige Stromversorgung auch dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

Die IG BCE hat vorgeschlagen, eine Steinkohle-Verstromungsgesellschaft zu gründen. Auch dies dient der Versorgungssicherheit; es schafft größere Sicherheit, wenn Kraftwerke konzentriert und in ein Gemeinschaftsunternehmen eingebracht werden, das für den optimalen Einsatz der notwendigen Kraftwerke sorgt. Eine Energiepolitik für Nachhaltigkeit und Fortschritt muss Wirtschaftskraft und Versorgungssicherheit erhalten, Innovationen fördern und mit Klimaschutzzielen verbunden sein."

Prof. Hubert Weiger

Portrait von Professor Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)© Puder / BUND

Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND):

"Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist Voraussetzung für mehr Klimaschutz und zugleich logische Folge des Zukunftsprojekts Energiewende. Der Umstieg von atomaren und fossilen Energiequellen auf eine 100prozentig erneuerbare Stromerzeugung bedeutet einen grundlegenden Wandel in unserem Energieversorgungssystem.

Dabei werden Kohlekraftwerke nicht nur zunehmend überflüssig, sondern auch zum Hindernis für die Energiewende. Sie sind klimaschädlich, unflexibel, teuer und stoßen Schadstoffe wie zum Beispiel Quecksilber aus. Neue Windkraft- (vor allem die an Land) oder Solarenergie-Anlagen produzieren bereits jetzt Strom zu gleichen Preisen wie Kohle- oder Gaskraftwerke. Die Tatsache, dass in Deutschland 2013 so viel Kohlestrom produziert wurde wie zuletzt vor 20 Jahren, belegt nicht etwa dessen Notwendigkeit. Vielmehr ist sie Hinweis auf das eklatante Versäumnis der Bundesregierung, für mehr Klimaschutz und ein Auslaufen des die Landschaft zerstörenden Braunkohleabbaus zu sorgen.

Aber auch die EU-Politik ist in der Pflicht. Sie muss den CO2-Zertifikatehandel grundlegend reformieren. Der Preis für die Zertifikate muss drastisch steigen, damit die pro erzeugte Kilowattstunde am meisten Treibhausgase emittierenden Kohlekraftwerke sukzessive stillgelegt werden.

Ohne Subventionen für die Braunkohle wäre Kohlestrom längst unbezahlbar. Der Ruf nach Rettung unwirtschaftlich gewordener Kohlekraftwerke mithilfe sogenannter "Kapazitätszahlungen" ist ein hilfloser Versuch der Stromkonzerne, den Kohleausstieg so lange wie möglich hinauszuzögern. Aufhalten lässt er sich nicht mehr.

Deshalb ist es nur vernünftig, den geordneten Abschied von der Kohleverstromung voranzubringen. Statt über die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Wind- und Sonnenstrom zu "deckeln" und die dynamische Bürgerenergiewende auszubremsen, muss die Bundesregierung umgehend dafür sorgen, dass Kohlekraftwerke die Netze freimachen, in die regenerative Energien immer stärker drängen.

Wenn der politische Wille da ist, ist ein Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 möglich. Und je früher die Bundesregierung die zentralen Themen Stromeinsparung und Energieeffizienz anpackt, desto schneller kann auf Kohlestrom verzichtet werden."